Eine Studie zeigt : Ob eine Nachricht berichtenswert ist, wird in den sozialen Milieus unterschiedlich eingeschätzt. Die Nähe zu den Lebenswelten und Werten ist wichtig.

Der Wert einer Nachricht entscheidet über Aufmerksamkeit, Platzierung und Verbreitung in den Medien. Schätzen Nachrichtenjournalist*innen den Nachrichtenwert ähnlich ein wie ihre Zielgruppe? Dieser Frage gehen Maya Götz, Caroline Mendel und Caroline Kleine-Besten in ihrer IZI Studie nach. Besonders interessierte Sie, wie die Altersgruppe, das Bildungsniveau und die Zugehörigkeit zum sozialen Milieu den Nachrichtenwert für die Befragten beeinflusst.

Die Autorinnen kommen zu diesem Fazit: Journalist*innen im Bereich Erwachsenennachrichten schätzen den Nachrichtenwert von Meldungen zumeist deutlich höher ein als ihre Zielgruppe. Dabei liegen sie tendenziell näher an den Hochgebildeten als an den Niedriggebildeten, der Unterschied in der Bewertung ist aber dennoch eklatant. Während Geschlecht und Bildung der befragten Erwachsenen nur relativ wenige Unterschiede offenlegen, zeigt die Auswertung nach Sinus-Milieus deutlich mehr Erklärungsrelevanz. Auch hier zeigen die höhergebildeten Milieus oft ein größeres Interesse. Es wird aber deutlich, dass es auf die Themen und ihre (vermutete) Nähe zu den Werten und Lebenswelten der Menschen ankommt. Hier würde es sich für Journalist*innen lohnen, sich mehr mit den Rezipient*innen und deren Orientierung auseinanderzusetzen. 

Für diese IZI-Studie wurden 2.000 Personen zwischen 18 und 69 Jahren 19 Beispiele zur Einschätzung des Nachrichtenwerts von Meldungen vorgelegt und mit den Antworten von Journalist*innen von Erwachsenennachrichten verglichen. 
Die Befragten sollten sich in die Rolle von Journalist:innen begeben und den Nachrichtenwert einer Meldung für Menschen in ihrer Altersgruppe einschätzen.
Durchgeführt wurde die Studie vom SINUS-Institut Heidelberg mittels eines Online-Fragebogens. Der Erhebungszeitraum war 5.-14. Mai 2021.

Alter und Geschlecht – Beim Nachrichtenwert kaum Unterschiede

Die Einschätzungen des Nachrichtenwerts durch Erwachsene decken sich häufig mit denen von Kindern und Jugendlichen. Auch im Geschlechtervergleich zeigen sich vor allem Ähnlichkeiten. Insgesamt weisen Frauen den Meldungen einen etwas höheren Nachrichtenwert zu als Männer. Insbesondere Nachrichten über die Rettung von Flüchtlingskindern aus dem Mittelmeer, die Strandung von Walen und eine Überschwemmung in Italien werten sie signifikant höher. Bei der Meldung zu den Protesten in Belarus, die zur Aufrüstung der Armeen aufseiten Russlands und der EU führen, liegen die Männer in der Bewertung etwas höher. Ein sehr deutlicher Unterschied zeigt sich aber bei der Einschätzung des Nachrichtenwerts durch Journalist*innen. Sie liegen mit ihrer Einschätzung oft weit über der der potenziellen Zielgruppe. Nur die Meldung zu den gestrandeten Walen ist für sie weniger berichtenswert, als ihre Zielgruppe dies einschätzt. 
Unterschiede in der Einschätzung finden sich im Altersvergleich nur selten. Bei einer Untergliederung der Altersgruppen in junge Erwachsene (18-29 Jahre), Erwachsene mittleren Alters (30-49 Jahre) und ältere Erwachsene (50-69 Jahre) zeigt sich bei 12 von 19 Nachrichten eine Differenz von weniger als 10 Prozentpunkten.

Nachrichtenwert nach Bildungsniveau 

In der Einschätzung des Nachrichtenwerts nach Bildungsniveau sind einige Meldungen, wie beispielsweise die (erfundene) Meldung zu einem neuen Fach »Medienkompetenz/Mediengestaltung«, für Höhergebildete deutlich wichtiger als für Erwachsene mit einem niedrigen Schulabschluss. Ähnliches zeigt sich bei der Meldung über die Proteste in Belarus, die zu einer Aufrüstung führen. Dass Vertreter*innen von Fridays for Future ins Bundeskanzleramt eingeladen werden, ist für gut 4 von 10 Erwachsenen mit hohem Bildungsabschluss wichtig, aber nur für knapp jede*n Dritte*n mit niedrigem Bildungsabschluss. 
Zu den Meldungen, die Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss als wichtiger bewerten als Personen mit hohem Bildungsabschluss, gehören z. B. die Nachricht über die Renovierung von Schulklos und über einen neuen Abenteuerspielplatz. Es liegt die Vermutung nahe, dass Menschen mit geringerer Bildung eher Nachrichten aus der eigenen regionalen Lebenswelt und dem eigenen Handlungsumfeld als wertvoll einschätzen. 
Journalist*innen sehen in fast allen Meldungen einen deutlich höheren Nachrichtenwert als ihre potenzielle Zielgruppe.

Einschätzung des Nachrichtenwerts nach Sinus-Milieus 

Werden die Antworten der Teilnehmenden nach Sinus-Milieus ausgewertet, so zeigen sich die deutlichsten Unterschiede beispielsweise bei der (erfundenen) Meldung, dass es in Ungarn neue Einschränkungen der Pressefreiheit gebe und drei deutsche Journalisten betroffen seien. Diese Meldung bewerten knapp acht von zehn Menschen aus dem sozial-ökologischen Milieu als berichtenswert, aber nur gut jede*r Vierte aus dem prekären Milieu. Die (erfundene) Meldung, es gebe ein neues Fach für die Mittlere Reife und das Abitur (Mediengestaltung und Medienkompetenz), finden fast 7 von 10 Menschen aus dem Milieu der Performer wichtig, aber nur knapp jede*r Vierte aus dem traditionellen Milieu. Auch die (erfundene) Meldung über einen Betrug bei der Deutschen Bank wäre für Menschen aus dem prekären Milieu deutlich weniger berichtenswert als für Menschen, die sich den Milieus der Oberschicht und oberen Mittelschicht zuordnen lassen. 

Hedonist*innen interessieren sich für viele Themen. 

Charakterisieren lässt sich das Milieu der Hedonist*innen als »die auf Konsum und Entertainment fokussierte (untere) Mitte: Spaßhaben im Hier und Jetzt; Selbstbild als cooler Lifestyle-Mainstream; starkes Geltungsbedürfnis; berufliche Anpassung vs. Freizeit-Eskapismus; zunehmend genervt vom Diktat der Nachhaltigkeit und Political Correctness« (SINUS, 20212). In der Befragung zum Nachrichtenwert der 19 Meldungen liegt dieses Milieu stets über dem Durchschnitt. Den neun Meldungen, denen durchschnittlich der geringste Nachrichtenwert zugewiesen wird, weisen Hedonist*innen signifikant mehr Nachrichtenwert zu als andere Milieus, beispielsweise bei den Meldungen über Fridays for Future, die Initiative von Bibi Claßen (BibisBeautyPalace) und Gronkh. Es sind aber nicht nur die seichten Themen, die Hedonist*innen interessieren. Sie weisen auch politischen Themen, z. B. zu den Protesten in Belarus, zur Rettung der Flüchtingskinder und der (erfundenen) Herabsetzung des Mindestlohns in Schwaben, mehr Bedeutung zu. Die Deutung: Hedonist*innen sind mit diversen Themenfeldern wie Gesellschaftspolitik und Jugendkultur, aber auch mit Personal Interest gut zu erreichen. 

Journalist*innen schätzen den Nachrichtenwert meist höher ein als ihre Zielgruppe 

Journalist*innen, die im Medienbereich für Erwachsene arbeiten, weisen den vorgelegten Meldungen insgesamt deutlich mehr Nachrichtenwert zu als ihre Zielgruppe. Der größte Unterschied zeigt sich bei der (erfundenen) Meldung, dass Made my Day und TikTok kostenpflichtig würden. Hier sehen gut 6 von 10 Journalist*innen einen hohen Nachrichtenwert (64 Prozent), aber nur 12 Prozent der Erwachsenen. In der Ausdifferenzierung der Milieus zeigt sich noch einmal deutlich, dass die Menschen in prekären Milieus (7 Prozent) und aus der bürgerlichen Mitte (8 Prozent), die gleichzeitig auch die ältesten Milieus sind, hier am wenigsten Nachrichtenwert sehen. Vermutlich liegt das daran, dass ihnen die Namen »Made my Day« und »TikTok« nichts sagen. 

Die Meldung, dass Flüchtlingskinder aus dem Mittelmeer gerettet wurden, erachten fast 9 von 10 Journalist*innen, aber nur knapp die Hälfte der befragten Erwachsenen für berichtenswert. Menschen aus dem prekären Milieu (27 Prozent) schätzen die Nachricht noch einmal weniger wichtig ein als zum Beispiel die Hedonist*innen (54 Prozent).

Wo Journalist*innen den Nachrichtenwert niedriger einschätzen als ihre Zielgruppe 

Bei zwei Meldungen sehen die befragten Erwachsenen mehr Nachrichtenwert als die befragten Journalist*innen. Die Strandung der Wale wurde von nicht mal jeder/jedem dritten Journalist*in als relevant eingestuft, während knapp jede*r zweite befragte Erwachsene dies als berichtenswert erachtet – ohne deutliche Unterschiede in den Milieus. Vor dem Hintergrund der Nachrichtenwerttheorie erscheint dieser Gegensatz gut nachvollziehbar, denn eine Meldung mit so gut wie keinem regionalen Anknüpfungspunkt und – im Vergleich etwa zu einer Meldung über das Artensterben – mit relativ wenig Valenz erscheint rational betrachtet wenig berichtenswert. Aus Rezipient*innensicht ist es aber das Thema Tierwohl (»Tiere sind für mich sehr wichtig«, »Das Wohlergehen von Tieren liegt mir am Herzen«), mit dem jede*r Vierte argumentiert, oder das Thema »Umwelt, Naturschutz und Klimawandel«, das 13 Prozent der befragten Erwachsenen als Begründung für den hohen Nachrichtenwert angeben, denn »Naturthemen, auch Nachrichten dazu, interessieren mich grundsätzlich immer«, wie es eine 62-jährige Befragte formuliert. 

Die Meldung über einen neuen Abenteuerspielplatz im eigenen Ort fand gut jede*r zweite befragte Erwachsene wichtig, insbesondere die Befragten aus dem konservativ-etablierten Milieu , jedoch nur 38 Prozent der Journalist*innen. Die Meldung aus dem regionalen Umfeld hat für die einzelnen Menschen deutlich mehr Nachrichtenwert, als die befragten Journalist*innen, von denen viele für überregionale Medien arbeiten, dies vermuten. 

Texte: TELEVIZION 34/2021/2
Schätzen Nachrichtenjournalist*innen den Nachrichtenwert ähnlich ein wie ihre erwachsene Zielgruppe? Maya Götz, Caroline Mendel, Caroline Kleine-Besten 
Gefunden und gelesen von: Martin Rzeppa
Schaubilder: ebenda