Janine Lancker begeistert mit Visualisierung in Schulungen, bei Meetings und auf Veranstaltungen.

Janine Lancker ist Trainerin, Gestalterin und Expertin für Sketchnoting. Sie erweckt das gute alte Flipchart wieder zum Leben. In unserem Interview spricht sie über die Macht der Bilder, Malen nach Zahlen und wo Flipcharts besser sind als Powerpoint. 

Wer wissen will, wie Sketchnotes bei Meetings den Druck vom Kessel nimmt, liest weiter….

Janine Du machst Sketchnoting. Was ist das eigentlich?
Janine: Sketch ist die Skizze und notes sind die Notizen, die man sich z. B. bei einem Gespräch macht.
Sketchnotes sind einfache Zeichnungen die mit wenigen Strichen und unter sparsamem Einsatz von Farben ein Thema oder eine Botschaft veranschaulichen.
Beim Sketchnoting nutzen wir die Macht der Bilder, um Komplexes und oft Abstraktes auf den Punkt zu bringen. Statt einer Liste von Worten und Begriffen, geben Bilder, Piktogramme und Symbole dem Inhalt eine Gestalt. Das bleibt besser in Erinnerung und macht allen mehr Spass.
Sketchnotes werden bei Meetings und Veranstaltungen meist auf Flipcharts gestaltet.

In den meisten Büros und Meeting-Räumen stehen Flipchart-Tafeln und Whiteboards. Die wenigsten wissen diese sinnvoll zu nutzen. Was empfiehlst Du Moderatorinnen und Weiterbildnern?
Janine: Oft werden Flipcharts wie Schmierzettel benutzt und als Wortefriedhof missbraucht. Und so sehen sie dann auch aus. Dabei können Moderatorinnen doch das Flipchart in einem Teammeeting wunderbar dazu nutzen, die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden zu lenken. Die Interaktion im Team gestalten. Fragen und Antworten festhalten und hervorheben, wenn sie für den Prozess wichtig sind. 
Auch bei der Wissensvermittlung hilft das Flipchart. Hier können die wichtigsten Erkenntnisse aus einem Vortrag festgehalten werden. Wenn wir mit Bildern und Emotionen gestalten statt mit abstrakten Begriffen, bleiben die Kernaussagen besser und länger in Erinnerung.
Ausserdem ist ein Flipchart-Plakat immer auch ein Dokument aus dem Meeting im Fotoprotokoll. So wie eine Urkunde – eins zu eins, nicht geglättet, gefälscht oder geschönt: So war es und nicht anders.

Wie bist Du dazu gekommen, Flipcharts zu gestalten und Dich damit selbstständig zu machen?
Janine: Zuerst war es Zufall und erst viel später mein Beruf und meine Gründungsidee. 
Bereits im Studium habe ich als studentische Hilfskraft in einer Unternehmensberatung gearbeitet und für die Berater Flipchart-Präsentationen gestaltet. Dem Chef des Unternehmens war die Präsentation von Beratungsinhalten auf dem Flipchart sehr wichtig. Er war ein Verfechter der sogenannten Moderationsmethode und legte sehr viel Wert auf ein sauberes Schriftbild. 
In meiner Zeit als Grafik-Assistentin hatte ich die vernachlässigten, oftmals mehr schlecht als recht beschrifteten Flipchart-Tafeln in Konferenzräumen, Arbeitszimmern, Lehrsälen und Praxen gesehen. Egal ob bei internen Meetings oder wichtigen Akquisegesprächen, mit einem fast leeren Filzstift werden Inhalte hektisch auf das Papier gekritzelt. »Sie sehen, meine Schrift ist eine Katastrophe…«, so wird das Geschmiere dann weggelächelt. Was für eine Verschwendung. 
Mit meinen Flipchart-Plakaten waren die Berater erfolgreicher und bekamen mehr Wertschätzung von ihren Kunden. Das hat mich angespornt – damit kann ich doch Geld verdienen!
Ich wußte, dass da eine enorme Menge an Flipcharts in der Welt darauf wartet, als wertvolles Instrument für gute Kommunikation entdeckt zu werden.
Anfangs habe ich aus dem Bauch heraus gestaltet und gezeichnet. Vom Zeichnen der Buchstaben kam ich zum Zeichnen von Symbolen und Figuren. Dabei habe ich meinen eigenen Stil entwickelt, um schneller und besser zu werden.  Das ist heute mein Markenzeichen. So bin ich Trainerin und Botschafterin für Sketchnoting geworden.

Du hast Deinen eigenen Stil entwickelt, Inhalte auf Flipcharts darzustellen. Flipchart-Design heisst Dein Stil. Was ist das besondere an Deinem Stil? Und was kann ich bei Dir lernen?

O Ton Janine: Es gibt viele Menschen in meinen Kursen, die sich für absolut untalentiert halten was das Zeichnen angeht. Häufig sind sie tatsächlich noch vom Kunstunterricht traumatisiert. Da wurde ihnen der Stift in die Hand gedrückt und gesagt, jetzt mal mal. 
Ich gebe den Menschen eine Methode an die Hand, die sie leitet, wie man zeichnen kann. Aber es ist auch möglich, weiter zugehen und zu improvisieren.
Meine Bildsprache habe ich immer weiter reduziert, damit auch gefühlt untalentierte sie einfach, schnell und effektiv lernen können.
Bei allen Symbolen gehe ich von dem Grundraster des Flipcharts aus – dem Karomuster auf dem Blatt. Mit einfachem Abzählen im Grundraster kann ich Größe und Form aller Gegenstände bestimmen. Fast wie bei Malen nach Zahlen –das gibt Sicherheit und die Ergebnisse werden immer besser. So entstehen Visualisierungen – Formen, Symbole und Personen – mit wenigen Strichen. Der Fokus auf Figuren, auf Menschen prägt meinem Stil besonders. Unser Blick wird immer zuerst von Gesichtern und Personen angezogen. Das machen wir uns auch beim Sketchnoting zunutze. So können die gezeichneten Personen eine Moderatorenrolle einnehmen, auf etwas besonders wichtiges hinweisen und Emotionen ausdrücken.
Deine Plakate und Dokumente aus dem Meeting machen mehr Spaß und bekommen so einen höheren Erinnerungswert.

Warum ist die Visualisierung von Botschaften, Inhalten und Vereinbarungen in Meetings und Weiterbildungen so wichtig?
Janine: Menschen sind immer sehr wissbegierig. Menschen wollen möglichst alle Informationen aufnehmen, aber sie können die Flut von Informationen nicht verarbeiten, sich das meiste nicht merken. Das Erfassen von Informationen fällt schwer, auch bei geübten Personen.
Visualisieren hilft. Es spinnt einen Roten Faden, verknüpft Informationen mit Emotionen und sorgt dafür, dass Inhalte besser im Erinnerung bleiben.
Passende Flipchartzeichnungen können sogar Druck vom Kessel nehmen. In Feedbacks ist mir das häufig gespiegelt worden. Auf einem Teammeeting, wo es irgendwie knirscht zwischen Menschen, wo unangenehme Themen besprochen werden müssen, da können solche Visualisierungen dazu beitragen, dass sie dann eher mit einem Augenzwinkern wahrgenommen werden.

In den meisten Fortbildungen und Meetings werden inzwischen digitale Präsentationen bevorzugt. Die ganze Welt von PowerPoint ist  »State of the Art«. Was kann das analoge Flipchart besser?
Janine: Das analoge Flipchart reduziert und spitzt deshalb besser zu. So kann man sich die Informationen auch besser merken.
PowerPoint verführt zu immer mehr Folien und immer mehr Inhalten. Und zu technischen Raffinessen. Aber zu viel ist zu viel. Irgendwann schaltet auch der interessierteste Teilnehmer, die begeistertste Teilnehmerin auf Durchzug.
Am Flipchart reduzieren wir selber. Statt 100 Powerpoint Folien reichen oft 10 gute Flipcharts. Weniger ist mehr. 
Die Teilnehmer empfinden selbst gestaltete Flipcharts als besondere Wertschätzung. Hier hat sich jemand wirklich Mühe gemacht , selber gemalt und mit der Hand geschrieben – schön und deutlich. Gerade in unserer digitalen Zeit wird diese Mühe von den Kunden besonders geschätzt.
Am Flipchart können wir interaktiv mit den Teilnehmerinnen etwas Neues entwickeln. Dieser Prozess ist analog viel lebendiger und macht auch Allen mehr Spaß .
Ich vergleiche die Beamerpräsentation und das Flipchart gerne mit  dem Kino und dem Improtheater. Das Flipchart ist hier mehr Impro und das kann die PowerPoint nicht.

Homeoffice, Zoom-Konferenzen, Teams-Treffen…da scheint kein Platz mehr für analoge Visualisierung zu sein. Geht Sketchnoting auch in der digitalen Welt?
Janine: Ja unbedingt. In der digitalen Welt fehlt uns gerade die Emotion, die Nähe und die Zuwendung. Sketchnoting kann dabei helfen, auch in virtuellen Räumen Emotion und Zuwendung zu erreichen.
Ich versuche in meinen Virtuellen Seminaren und beim Graphic Recording so analog wie möglich  rüber zukommen. Der Bildschirm soll nur wie eine Fensterscheibe wirken. Eine Fensterscheibe, die meine Teilnehmer*innen und mich trennen. Ich zeichne und schreibe analog und filme mich dabei ab. 
Für unsere Wahrnehmung von Informationen ist es gerade auch in der digitalen Welt so wichtig, möglichst nah dran zu sein. Am Geschehen oder – wie bei meinen Kursen und meiner Arbeit – am Zeichnen, bei der Entstehung von Bildern.
Graphic Recording ist simultanes zeichnen, schreiben und protokollieren von Meetings und Vorträgen. Beim Graphic Recording sehen die Teilnehmer*innen nur meine Hand und die Zeichenfläche – das Flipchart. Dadurch entsteht eine ganz besondere Fokussierung auf die dargestellten Inhalte und den Prozess, ohne Ablenkung. Man sieht nur wie das Bild entsteht. Das haben mir Teilnehmende positiv rückgemeldet.
Bei eigenen Seminaren stehe ich direkt am Flipchart vor der Kamera. Whiteboard und andere Kollaborationstools nutze ich kaum. Ich versuche eine möglichst große Nähe zur Präsenzveranstaltung herzustellen. Die Teilnehmenden bekommen von mir ein Set mit verschiedenen Stiften. Die Schulungsunterlagen schicke ich mit der Post zu. Sie können dann direkt mitzeichnen. Zuhause auf dem Blatt Papier am Küchentisch oder Schreibtisch zeichnen sie das,  was ich ihnen beibringe und am Flipchart vorzeichne. Auch ist der Bildschirm nur wie eine Fensterscheibe zwischen uns. 

Vielen Dank für das Interview. Ich bin begeistert von Sketchnoting und werde schon beim nächsten Workshop versuchen, auch mein Flipchart wach zu küssen.

Vita: Janine Lancker (*1979 in Bremen) ist deutschlandweit als Trainerin für Visualisierungsmethoden und als Graphic Recorder unterwegs. Die von ihr entwickelte Zeichenmethode stellt sie in ihrem Buch Flipchartdesign (Beltz-Verlag, 2017) vor. 
Für ihre Arbeit wurde sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie mit dem Titel Kultur- und Kreativpilotin Deutschland ausgezeichnet. 
Das Buch: Janine Lancker: Flipchartdesign. Schreiben und Zeichnen nach der fliplance®-Visualisierungsmethode. Beltz-Verlag, Weinheim 2017. ISBN:978-3-407-36638-2, 39,95 €
Foto: Janine Lancker
Text: Das Interview führte Martin Rzeppa