Titel der Studie Otto Brenner Stiftung – Die Studie kann auf der Internetseite der Otto Brenner Stiftung abgerufen werden.

»In Facebook-Konversationen der AfD laufen Faktenchecks meist ins Leere, die Verbreitung von Fake News lässt sich dort so kaum verhindern.« Zu diesem Ergebnis kommen die Wissenschaftler Hannah Trautmann und Nils Kumkar in einer Studie für die Otto-Brenner-Stiftung.

»Bei dem Corona-Virus handelt es sich nur um einen harmlosen Schnupfen«. »Die Antifa wird von der Regierung monatlich mit einem festen Betrag zu unterstützt.« »In Deutschland wurde mit Corona die Pressefreiheit abgeschafft.« »Alternative Fakten« – Wo und warum werden solche Falschinformationen geteilt? Welchen Zweck erfüllen sie in »Gesprächen« auf Social Media, wel­chen Sinn macht das »Teilen« für die Gesprächsteilnehmer*innen. 

Das Team der Universität Bremen wertete zahlreiche Konversa­tionen auf den Facebook-­Seiten der AfD qualitativ aus – und kommt zu bemerkens­werten Ergebnissen. 

Facebook – Marktplatz der Identitäten

Facebook – das zusammen mit Messanger­-Diensten wie Telegram und WhatsApp und … YouTube als Hauptkanal zur Verbreitung von Falschinformationen gilt – stellt nicht einen oft beschworenen »Marktplatz der Ideen« dar, sondern wird vielmehr als „Marktplatz der Identitäten« profiliert: Beiträge in Diskussionen auf den Facebook­-Seiten der AfD werden nicht auf ih­ren sachlichen Gehalt geprüft, sondern als Identitätsbehauptungen verhandelt. Stets geht es um die Frage, was die jeweilige Äußerung über die Zugehörigkeit und eigene Positionierung preisgibt – ist man Teil der »Fundamentalopposition« zur verachteten Mehrheitsgesellschaft oder nicht?

Die AfD bietet sich als zu untersuchende Akteurin an, da hier eine hohe Dichte an alter­nativen Fakten zu erwarten ist und die Partei … als Promoterin alternativer Fakten besonders im Fokus der gesellschaft­lichen Aufmerksamkeit stehen dürfte.
Facebook als untersuchtes Medium ist nach wie vor die meist genutzte Social Media Platt­form in Deutschland. Insbesondere die Gruppe, der in der Forschung eine besondere ‚Anfällig­keit‘ für alternative Fakten zugeschrieben wird – namentlich ältere Menschen mit einer geringe­ren Medienkompetenz – sind dort vertreten (Statista 2021, ARD/ZDF­Onlinestudie 2020). 

Unsicherheit über ‚wahr‘ und ‚falsch‘

»Alternative Fakten« verwenden wir…als Sammel­begriff für Behauptungen, an denen sich diese Unsicherheit über ‚wahr‘ und ‚falsch‘ beson­ders deutlich zeigt: Für Tatsachenbehauptun­gen, die gegen als gemeinhin akzeptiert be­handelte Tatsachenfeststellungen vorgebracht werden und sich dabei der diskursiven Klärung des zugrundeliegenden Sachverhalts verwei­gern (vgl. Kumkar 2021). Nicht gemeint sind damit also abweichende Werturteile …, oder auf Verständigung zielende abweichende Sichtweisen (im Sinne einer anderen Deutung einer geteilten Wahr­nehmung). »Fake News«, also irreführende Tatsachenbehauptungen, die als ‚Nachrichten‘ artikuliert werden, sind insofern eine Teilmen­ge von alternativen Fakten, wie auch Gerüch­te, die ein Bekannter von einer Bekannten auf Facebook geteilt hat. 

Zum einen zeigen Umfragen, dass die Furcht vor den Folgen alternativer Fakten für die demokratische Debatte viel weiter verbrei­tet ist als das Eingeständnis, in der eigenen Realitätswahrnehmung durch alternative Fakten irritiert zu sein (Wagner/Boczkowski 2019; Ipsos 2018). Zugespitzt könnte man sagen: alternative Fakten glauben (schein­bar) immer nur die anderen.

Gemeinschaften schonungsloser Durchblicker

Der Wahrheitsgehalt des Geposteten, … ist dabei nicht entscheidend. Die oftmals schrillen Superlative alternativer Fakten ermöglichen es Diskussionsteilnehmer*innen jedoch, sich als besonders schonungslose*r »Durchblicker*in« zu inszenieren. Dieser Logik folgend, wird Kritik und inhalt­licher Zweifel an den »Fakten« oftmals schlicht ignoriert, beiseite geschoben oder mit dem Ausschluss aus der Gemeinschaft beantwortet. 

Die Reaktionen der am Diskurs Teilnehmenden auf die Kritik an der Hervorbringungsweise alternativer Fakten zeigen, dass diese als An­griff auf die Ermittlungsgemeinschaft inter­pretiert wird. Da sich die Diskurs-Gemeinschaft über das ‚Ermitteln‘ als identitätsstiftende Praxis konstituiert, wird eine Kritik an der Her­stellung, der Validierung oder der Verbreitung alternativer Fakten als Kritik an der Gemein­schaft selbst gedeutet.

Vorgefestigte Ressentiment­s

Bemerkenswert ist, dass alternative Fakten vor allem dort zum Tragen kommen, wo die Gesprächsteilnehmer*innen auf vorgefestigte Ressentiment-­Strukturen zurückgreifen und gegen eine etablierte Mehrheitsmeinung anschreiben kön­nen. Es sind somit nicht Momente kollektiver gesellschaftlicher Unsicherheit (wie beispielsweise zu Beginn der Corona­-Pandemie), in denen alternative Fak­ten eine besonders prominente Rolle in den Diskussionen spielen. Politische und soziale Konflikt gehen der Verbreitung alternativer Fakten voraus: Menschen opponieren nicht im Anschluss an eine Falschinformation gegen die Pandemie­ Bekämpfungspolitik, sondern sie teilen alternative Fakten, um ihre Opposition gegenüber dieser Politik auszudrücken. 

…Die AfD ist auf eine bereits etablierte Konfliktkon­stellation und schon ausgebildete Ressenti­ment­-Strukturen angewiesen, um sich in ihrer Rolle als ‚Fundamentalopposition‘ er­folgreich auf Facebook darstellen zu können. »Alternativen Fakten« florieren da  besonders, wo sich mit ihnen …als Gegen­-Behauptungen am hegemonialen Wissen der Mehrheitsgesellschaft abgearbei­tet werden kann.

Fact-Checking läuft ins Leere

Für den Umgang mit alternativen Fakten auf Facebook kann festhalten werden, dass Versuche der »Aufklärung« und des »Fact-­Checking« – zumindest bei den aktiven Teilnehmer*innen der Diskussionen – ins Leere laufen. Denn wo das Problem offensichtlich nicht in Informationsunsicherheit begründet liegt, schafft auch institutionalisierte Informationssicherheit keine Abhilfe.

»Da es kaum um den sachlichen Gehalt der Beiträge geht, lohnt es sich hier definitiv nicht, mit Rechten zu reden«. Da ist sich Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung sicher. Alternative Fakten sollten nicht als ‚Missverständnisse‘ verstanden werden, denen vermeintlich mangelnde Bildung oder Medienkom­petenz zugrunde liegt. 

Die Verbreitung von rechten Fake News sollte als Ausdruck politischer Konflikte ernst genommen werden. Nur so könne man dagegen etwas tun.

Text: Otto Brenner Stiftung Arbeitspapier 49. Hannah Trautmann und Nils C. Kumkar. Alternative Fakten im Gespräch. AfD-Diskussionen auf Facebook. 
Gelesen und zusammengestellt von: Martin Rzeppa

Glossar: Kurz & Knapp

‚Gespräche’ auf Facebook: Kommunikation als Identitätsbehauptung 
Bei öffentlichen Facebook­-Diskussionen handelt es sich um eine spezifische Art der Kommunikation, die sowohl von Off­-line­ Gruppendiskussionen, wie auch von Diskussionen auf anderen Social Media­ Plattformen zu unterscheiden ist. Kern­befund der Untersuchung der Gesprächs­bedingungen auf Facebook ist, dass es sich bei den dort stattfinden Interaktionen vor­nehmlich um Aushandlungen von Identitäts­behauptungen handelt. Das bedeutet, dass die Kommunikation weniger vom Sachge­halt der Äußerungen geprägt ist, als davon, welche Aussagen die Kommentator*innen damit über ihre eigenen Positionen und Zu­gehörigkeiten transportieren. 

Die ‚Ermittlungsdynamik’ als Rahmen für das Teilen alternativer Fakten 
Facebook­-Konversationen auf AfD­-Seiten folgen einem typischen Grundmuster. Die­ses gleicht einer Ermittlungsbewegung, bei der das Endergebnis jedoch immer schon zu Beginn der Untersuchung feststeht. Sich daran beteiligende private Nutzer*innen streben danach, sich als möglichst ‚skepti­sche Durchblicker*innen‘ zu inszenieren. Im Kontext dieser Dynamik werden massenhaft und weitestgehend sanktionslos alternative Fakten in die Diskussionen eingebracht. Sie fungieren dabei zum einen als ‚Füllmasse‘ beim gemeinsamen ‚Ermitteln‘, zum ande­ren sind auch sie als Identitätsbehauptun­gen über die Teilnahme an der sogenannten ‚Ermittlungsgemeinschaft‘ zu verstehen. 

Die Thematisierung alternativer Fakten: Kritik als Angriff 
Das Verständnis vom Teilen alternativer Fak­ten als Ausweis über eine Teilnahme an der gemeinsamen ‚Ermittlung‘ bestätigt sich in der Untersuchung von Konversationen, in denen alternative Fakten selbst zum Thema werden. Während inhaltlicher Widerspruch an alternativen Fakten meist schlichtweg ignoriert wird, interpretieren die am Diskurs­ Teilnehmenden Kritik an der Hervorbrin­gungsweise alternativer Fakten als Angriff auf die ‚Ermittlungsgemeinschaft‘. Dement­sprechend werden diese Wortmeldungen kommunikativ so bearbeitet, dass die ‚Loya­lität‘ des/der Kritikers/Kritikerin gegenüber der ‚Ermittlungsgemeinschaft‘ in Frage ge­stellt wird. Kritik an der Gültigkeit von alter­nativen Fakten wird so auf der Ebene von Zugehörigkeit und Identität verhandelt, wo­ durch die Kritik als solche neutralisiert wird.