Vier-Tage-Woche in Skandinavien und Groß-Britannien
Berichte über kürzere Arbeitszeiten haben meistens ihren Ursprung in Skandinavien. Nun entdeckt offenbar auch Großbritannien das Thema. Gesunde Mitarbeiter rechnen sich, stellt eine britische Firma fest – und lässt sie bei vollem Lohn nun dauerhaft kürzertreten.
Worüber sich die Mitarbeiter bei Belmont Packaging sowie der E-Commerce-Schwester Boxed-Up diese Woche in Großbritannien freuen, ist der Traum vieler Beschäftigter: Weniger Arbeit – bei vollem Lohnausgleich – und mehr Zeit für sich. Genau das haben die gut 30 Angestellten des Spezialisten für Verpackungslösungen aus Wellpappe nach einem Modellversuch nun dauerhaft für sich erreicht. Seit dem 20. September gibt es für sie nur noch die Vier-Tage-Arbeitswoche.
Als das Unternehmen nahe Manchester Ende 2019 begann, dieses Modell in der Produktion zu testen, standen vor allem die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter im Mittelpunkt. Darüber hinaus sei es aber auch um Wertschätzung gegangen, wie der kaufmännische Leiter des Verpackungsspezialisten betont: »Wir schätzen nicht nur unsere Kunden, Geschäftspartner und Lieferanten, sondern auch unser größtes Kapital, die Mitarbeiter, deren harte Arbeit, Engagement und Hingabe unser Unternehmen zu dem machen, was es ist«, sagte Gareth Rollo der »Manchester Evening Post«.
Ganz uneigennützig ist diese Wende allerdings nicht, denn auch stressbedingten Krankheiten lässt sich so vorbeugen: »Vier-Tage-Arbeitswochen geben den Mitarbeitern von Belmont Packaging Zeit, sich auf die persönliche Entwicklung zu konzentrieren oder Zeit mit ihren Lieben zu verbringen. Dies kann die Zufriedenheit der Mitarbeiter steigern und zu weniger Burnouts am Arbeitsplatz beitragen«, heißt es hierzu in der Pressemitteilung.
Außerdem sei das Unternehmen immer bestrebt gewesen, »fortschrittlich zu sein, wenn es um Kundenservice, Qualität, Leistungsfähigkeit, Technologie und neue Arbeitsweisen« gehe. Mit dem Schritt zur Vier-Tage-Arbeitswoche wolle man auch eine »Vorreiterrolle« nicht nur bei Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeiter, sondern auch in der Branche der Verpackungsindustrie übernehmen.
Schottland prescht voran
Tatsächlich liegt die Entscheidung von Belmont Packing zurzeit im Trend in Großbritannien. Anfang des Monats erst kündigte Schottland an, die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich zu testen. Anstelle der üblichen 38 Stunden pro Woche müssen schottische Männer und Frauen in Büros bald nur noch 30 Stunden arbeiten, was bedeutet, dass jede Woche ein dreitägiges Wochenende hat. Das Gehalt wird sich trotz der 20-prozentigen Arbeitszeitverkürzung nicht ändern. Nicht Stunden, sondern Leistung rechtfertigten den Jahreslohn, begründet die schottische Regierung den Versuch.
Wie sehr Arbeitnehmer reduzierte Arbeitszeiten begrüßen, zeigt eine Umfrage, die der britische Sender BBC in dem Zusammenhang zitierte: Eine Umfrage der Denkfabrik IPPR Scotland ergab demnach, dass sich ganze 80 Prozent der Menschen eine Vier-Tage-Woche wünschen. Zwei Drittel der über 2200 befragten Personen im Alter zwischen 16 und 65 Jahren gaben dabei an, dass eine kürzere Arbeitswoche nicht nur ihr Wohlbefinden, sondern auch die Produktivität im Land steigern könnte. 88 Prozent der Befragten boten zudem an, an dem schottischen Pilotprogramm teilzunehmen. Die schottische Regierung will versuchen, das Modell möglicherweise landesweit umzusetzen.
Weniger Arbeit, niedrigerer Krankenstand – Erfahrungen in Schweden und Island
Über Modellversuche mit reduzierten Arbeitszeiten ist in den vergangenen Jahren vor allem aus Nordeuropa berichtet worden. So hat Island bereits in zwei großangelegten Experimenten von 2015 bis 2019 die Vier-Tage-Woche sehr erfolgreich getestet. Für 2500 Arbeitskräfte, mehr als ein Prozent der berufstätigen Bevölkerung, wurde die Wochenarbeitszeit von 40 auf 35 oder 36 Stunden verkürzt – ebenfalls bei gleichbleibender Bezahlung. Nach der erfolgreichen Testphase wird das Modell mittlerweile landesweit ausgerollt.
Will Stronge, Leiter der Forschungsabteilung des Thinktanks Autonomy, bezeichnete den Feldversuch in Island gegenüber der BBC als »überwältigenden Erfolg«. Gudmundur Haraldsson vom isländischen Verband für nachhaltige Demokratie Alda erklärte: »Die kürzere Arbeitswoche in Island zeigt uns, dass es nicht nur möglich ist, kürzer zu arbeiten, sondern dass auch Veränderung möglich ist.« Die Probanden waren ebenfalls angetan, viele meldeten zurück, dass sich ihre Gesundheit deutlich verbessert habe, sie weniger gestresst oder von Burn-out bedroht seien. Auch die neu gewonnene Zeit für Familie und Freizeit wurde hervorgehoben.
Doch ist eine Studie wie diese überhaupt auf den internationalen Alltag übertragbar? Politikwissenschaftler Jack Kellam, der das Experiment ausgewertet hat, ist davon überzeugt. »Die Vier-Tage-Woche könnte genauso gut in größeren Ländern wie Deutschland funktionieren«, sagte er »Zeit Online«. »In Großbritannien, wo ich lebe, ist die Zahl der Krankheitstage wegen psychischer Belastung extrem hoch – der Bedarf, etwas zu ändern, wäre da. Historisch gesehen wurde an der Arbeitszeit schon häufiger gedreht: Wir sind von der Sechs-Tage-Woche auf die Fünf-Tage-Woche umgestiegen«, sagte Kellam. »Warum sollte es nicht auch noch weitergehen?«
In Schweden testeten – ebenfalls ab 2015 – alle kommunalen Krankenhäuser und Altenheime die Vier-Tage-Woche. Auch dort wurde festgestellt, dass das Personal gesünder, zufriedener und produktiver war. »Die Personen waren deutlich zufriedener, hatten eine höhere Lebensqualität, niedrigere Krankenstände«, bestätigt die Psychologin Rüya Kocaleven dem »Stern«.
Dass sich das Wohlbefinden der Arbeitnehmer und eine hohe Produktivität bei einer reduzierten Arbeitszeit nicht ausschließen, davon ist der US-amerikanische Startup-Unternehmer Stephan Aarstol überzeugt. Ein Unternehmen könne auch mit weniger Arbeitsstunden mehr schaffen. Er selbst hat seiner Firma einen Fünf-Stunden-Arbeitstag verordnet. Viel zu viel Zeit werde auf der Arbeit verschwendet.
Andere wiederum warnen davor, solche Modellversuche auf andere Länder und den gesamten Arbeitsmarkt zu übertragen. Arbeitnehmer, die kürzere Arbeitszeiten grundsätzlich begrüßen, wollen in der Regel nicht auf Lohn verzichten. Nicht jedes Unternehmen kann sich das leisten. Arbeitgeber müssen ihrerseits unbesetzte Schichten und Lücken in Dienstplänen fürchten, so dass Arbeit einfach liegen bleibt. In vielen Fällen, nicht nur im Gesundheitswesen, müssten Stellen geschaffen werden, um den Betrieb am Laufen zu halten.
Diana Dittmer (ntv.de)
Malte Bürger (Weser Kurier)
Gefunden von Axel Janzen
Juli/September 2021