Unternehmen und Betriebsräte sehen sich zunehmend mit der »Wertedebatte« und der Nachhaltigkeitsdiskussion konfrontiert

In unseren Workshops mit Betriebsräten besteht der letzte Teil des Fragenkatalogs zur Teamanalyse aus dem oben genannten Themenbereich. Dort fragen wir unter anderem nach »Visionen, Ziele, Strategien«.

  1. Welche Visionen, Leitbilder, mittel- und langfristige Ziele sind in unserem Team diskutiert, beschrieben und welche sind Konsens?
  2. Mit welchen Strategien werden die Ziele systematisch verfolgt?
  3. Welche Chancen, Gelegenheiten, Wachstums- und/oder Entwicklungsmöglichkeiten liegen in welchen Bereichen?
  4. Welche bedrohlichen oder ungünstigen Entwicklungen kommen wo, woher, in welchem Zeitraum, und in welcher Form auf uns zu?

Zwei Forscherinnen sind jetzt für ihre Arbeiten zu dem Thema ausgezeichnet worden.

Die Forschungsansätze der Wirtschaftswissenschaftlerinnen sind ganz unterschiedlich. Und doch eint Julia Grimm und Rebecca Ruehle viel. Die beiden haben beim selben Doktorvater in Halle promoviert. Seit diesem Freitag gibt es eine weitere Gemeinsamkeit, die mit Bremen zu tun hat. Grimm (33) und Ruehle (32) sind im Oktober 2021 für ihre Arbeiten mit dem Wolfgang-Ritter-Preis ausgezeichnet worden.

Und verbündet sind die beiden noch in anderer Hinsicht. Die Frauen haben den Willen, Wirtschaft und Wissenschaft durch ihre Arbeiten zu verändern. Selbst wenn schon Fortschritte da seien: Unternehmen müssten im Sinne der Nachhaltigkeit und Ethik mehr Verantwortung übernehmen.

Während ihres eigenen Studiums der Betriebswirtschaftslehre hat es Rebecca Ruehle geärgert, dass im Bachelor kaum eine Auseinandersetzung mit Ethik stattgefunden habe. Darum wuchs in ihr auch der Wunsch, selbst in die Lehre einzusteigen.

Julia Grimm wurde auch schon im Bachelorstudium klar, dass sie sich mit ethischen Fragestellungen beschäftigen möchte. Damals hinterließ die Dokumentation »The Dark Side of Chocolate«, die das Ausmaß von Kinderarbeit und Ausbeutung in der Industrie zeigte, bei ihr viele Fragen offen. Ethik im Studium sollte aus Sicht von Grimm und Ruehle nicht ein Zusatz sein, sondern in jede Beschäftigung mit Wirtschaft einfließen – ob beim Thema Marketing oder Lieferkettenmanagement.

Die Überzeugung der beiden spiegelt sich in ihren jeweiligen Doktorarbeiten. Der Anfang ihrer Promotion fiel für Julia Grimm in die Zeit nach Rana Plaza. Damals starben beim Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch mehr als 1.100 Menschen. Vielen sei spätestens angesichts dieser Katastrophe klar geworden, dass etwas getan werden müsse, weil die Kontrollinstanzen versagt hatten. Das Deutsche Bündnis für Nachhaltige Textilien entstand. Und das schaute sich Julia Grimm in ihrer Doktorarbeit genauer an.

Rebecca Ruehle forschte derweil in ihrer Promotion zu einem ganz anderen Instrument. Im Master besuchte Ruehle auch Vorlesungen in der Psychologie. Daraus zog sie die Erkenntnis: Menschen entscheiden nicht absolut rational, wie die Vorstellung vom Homo oeconomicus suggeriert, sondern werden unter anderem auch von der Umgebung gelenkt.

Ruehle schaute sich in ihrer Arbeit an, wie Unternehmen ihre Mitarbeiter und Kunden in eine bestimmte Richtung »anstupsen« können. Ihre Frage: Wie können wir herausfinden, wann das in Ordnung ist und wann nicht? Wo liegt die feine Linie dazwischen? Wann muss gar von Manipulation gesprochen werden? Problematisch sei Nudging etwa, wenn Unternehmen Mitarbeiter auf diesem Weg ausnutzten – zum Beispiel bewusst zur Mehrarbeit anspornten.

Text und Foto: Weser Kurier vom 23. Oktober 2021
Gelesen und wiedergegeben von: Axel Janzen