Mit Silke Grell als Marketing-Direktorin hält das Unternehmen an einem Punkt fest: Fritz-Kola soll weiter mit intelligenten Kampagnen und Posts Reibungsfläche bieten. Darin hat die Marke bereits Übung.
Bei Fritz-Kola gehören politische Statements zur DNA. Der Getränkehersteller ist seit seinem Bestehen abseits der Kommunikations-Trampelpfade unterwegs, bekannt für seine provokante Art. So avancierte er zur Mutter des Haltungsmarketings. Und zwar noch ehe es dafür überhaupt eine Vokabel gab. Doch wie verhält sich das in Krisen-Zeiten? Verbietet es sich da, über publikumswirksame Marketingstrategien nachzudenken? Ist Haltung zeigen das Gebot der Stunde? Marketing-Chefin Silke Grell findet: »Ja«. Aber dazu später mehr.
Grell ist seit einem Jahr für das Marketing des Brause-Herstellers zuständig und hat zunächst einmal alles ordentlich umgekrempelt und neu sortiert. Es entstanden fünf Abteilungen im Bereich Markenpflege. Sie heißen Brand Management, Events & Experiential Marketing, Digital Marketing, International Marketing und Corporate Communication, PR & Sustainability. Plötzlich gibt es so etwas wie eine eigene Marktforschung oder ein Digital-Ressort mit eigener Grafik-Abteilung, um auf Entwicklungen im Netz schnell reagieren zu können.
»Die Neuaufstellung bringt uns ein tieferes Verständnis für das Marketing und den Markenkern«, sagt die Managerin, die sich selbst als »echten Genussmenschen« beschreibt und im Freundeskreis als versierte Cocktailmixerin geschätzt wird. Eine weitere wesentliche Neuerung: »Wir führen jetzt All Agency Meetings durch und holen Vertreter der einzelnen Agenturen, mit denen wir zusammenarbeiten, an einen Tisch. Das sorgt für eine stärkere Vernetzung sowie für ein offeneres Arbeitsklima.« So weit, so gut. Doch wie funktioniert das bei Fritz-Kola, wo Humor zum Markenkern gehört, mit dem Brand-Purpose in Zeiten von Covid, Krieg und Klimakrise?
»In Zeiten der Krise zählen Taten mehr als Worte.«
Gleich nach Ausbruch des Krieges ist das Unternehmen erst mal offline gegangen und hat seine Social-Media-Aktivitäten eingestellt. Den Platz auf den Kanälen hat Fritz-Kola dann dem neuen Ukraine-Magazin »Katapult« zur Verfügung gestellt. »Natürlich sind in Zeiten der Krise eher Zahlen, Daten, Fakten gefragt. Aber wenn alle einmal tief durchgeatmet haben, darf man auch wieder Humor zeigen. Das nimmt auch den Druck raus. Vor allen Dingen intelligenter Humor wird von unserer Zielgruppe sehr geschätzt. Reflektiert, relevant und nicht bierernst, das ist unser Anspruch«, sagt Silke Grell. Die Zeiten seien auch so schon ernst genug.
Aber warum muss sich eine Brause zu gesellschaftspolitischen Fragen äußern? »Das liegt in der DNA unseres Gründers Mirco Wiegert, dessen Gründungscredo lautete: Wir wollen die Dinge besser machen, als sie sind. Das betrifft nicht nur das Produkt, sondern auch die Welt, in der wir leben.« Und dazu gehört es, den Schnabel aufzumachen, wenn Dinge in eine ungute Richtung laufen. Zum Beispiel, wenn alle nur noch aus Einweg trinken oder keine:r mehr zur Wahl gehen will. Ganz nach dem Motto: Wir mischen uns ein und wir mischen mit. Das hat Tradition bei Fritz-Kola.
In die Zeit von Silke Grell fallen beispielsweise die Nachhaltigkeitsinitiative »Trink aus Glas« und die Kampagne »Manipuliere die Wahl« im vergangenen Herbst. Unter ihrer Ägide wurde auch der Markenkern leicht angepasst. »Wach gemeinsam machen«, heißt es jetzt. Frei übersetzt: Nicht nur die Kola soll wach machen, auch im Geist soll man wach bleiben und zu Aktionen zusammenkommen, bei denen Positives entsteht – ob bei einer Demo oder einer Hilfsaktion. So entstand auch die aktuelle Kampagne mit dem Slogan: »Das Gute schläft nie.«
»Die Zeiten und die Zielgruppen sind anders als noch vor zehn Jahren, wo es eher um Eskapismus ging. Die jungen Menschen stellen heute viele Fragen zu den Produkten, die sie konsumieren«, sagt Grell, Mutter von zwei Vertreter:innen der Gen Z. Welche Inhaltsstoffe kommen in das Produkt, wie werden diese hergestellt, wer ist das Gesicht hinter dem Unternehmen – oder handelt es sich um einen gesichtslosen Konzern? Gleichzeitig hat die Gen Z auch einen Authentizitäts-Radar und weiß schnell, wer wirklich etwas tut und wer nur Nebelkerzen wirft. »Hier trennt sich die Spreu vom Weizen.«
Doch nicht allen passt die Art, wie Fritz-Kola Haltung zeigt und ganz bewusst mit Reizfläche spielt. Wie beispielsweise beim G-20-Gipfel, der in Hamburg stattfand. Der Softdrink-Produzent zeigte Motive mit den drei Staatsoberhäuptern Putin, Trump und Erdogan – alle drei schlafend. Unter dem Hashtag #Menschwachauf wurden Twitter und Instagram-User dazu aufgerufen, ihre Meinung zum Gipfel kundzutun. Der Schuss ging nach hinten los – der schlafende Erdogan löste den größten Shitstorm aus, den das Unternehmen je erlebt hatte.
Es kamen Drohungen, Anfeindungen und Beschimpfungen per E-Mail, Social Media und Telefon. Den »Fritzen« wurde empfohlen, für ein paar Tage lieber daheimzubleiben und nicht ins Büro zu kommen. »Doch nicht nur Endverbraucher, auch Gastronomen und Kioskbesitzer beschwerten sich massiv und listeten unsere Produkte aus – was letztlich auch zu einem Umsatzeinbruch führte.« Wer sich auf diese Weise äußert, muss mit solchen Konsequenzen rechnen. »Haltung muss man auch aushalten können.« Gleichzeitig ist Aufmerksamkeit eine echte Währung in diesem Business. Doch man hat daraus auch gelernt: Man wird zukünftig keine Personen mehr verunglimpfen.
Unterdessen beschäftigt die »Fritzen« der Ausbruch des Krieges in der Ukraine nicht nur mental, sondern auch wirtschaftlich. Die Lieferungen nach Russland wurden gestoppt. In die Ukraine wird aktuell ebenfalls nicht geliefert. Wenn auch aus völlig anderen Gründen. Die Infrastruktur ist zusammengebrochen. Die Distributionspartner haben aufgrund des Krieges ihr Geschäft eingestellt. »Aktuell kümmern wir uns vor allem darum, Wasserlieferungen ins Land zu organisieren, und folgen damit einer Initiative der Handelskammer Hamburg, die gemeinsam mit der Stadt Hamburg und der Stadt Kyiv einen ‚Pakt für Solidarität und Zukunft‘ vereinbart hat.«
Text: Lisa Priller-Gebhardt
Aus w&v, 17. August 2022
Gefunden von: Michael Rasch