Ein sinnvoller Begriff wird umgedeutet und endet als Worthülse. Dies sei bei »Eigenverantwortung« der Fall, finden die Sprachkritiker des Netzprojekts »Floskelwolke«. Die Begründung: »Ein legitimer Begriff von hoher gesellschaftlicher Bedeutung wird ausgehöhlt und endet als Schlagwort von politisch Verantwortlichen, die der Pandemie inkonsequent entgegenwirken. Fehlgedeutet als Synonym für soziale Verantwortung und gekapert von Impfgegnerinnen und Impfgegnern als Rechtfertigung für Egoismus«, erläuterten die Betreiber des Netzprojekts Floskelwolke, Udo Stiehl und Sebastian Pertsch.
Pagageien-Deutsch
Als Floskel werden schmückende Ausdrücke, nichtssagende Redensarten sowie unnötige Phrasen bezeichnet. In der Rhetorik der Antike verstand man unter dem Begriff einen knappen, treffend formulierten, autoritätshaltigen und auf viele konkrete Fälle anwendbaren Sinnspruch. Heutzutage werden inhaltlose und unnötige Wörter in einer Aussage als Floskel bezeichnet.
In der Umgangssprache werden viele Floskeln verwendet, ohne dass der Sprecher sich dessen bewusst ist. Oft wird eine ernsthafte, bedeutungsvolle Antwort erwartet. Das Gesagte wird durch Floskeln und andere Sprachschablonen so sehr aufgeladen, dass eine eindeutige Stellungnahme nicht mehr zu erkennen ist. Dies stößt beim Hörer auf Missfallen.
Nicht zuletzt durch Funk- und Fernsehmedien verbreiten sich Floskeln in der deutschen Sprache überaus rasch und sind bei ihren Verwendern subliminal (unterschwellig, die Schwelle zum Bewusstsein wird nicht überschritten). Durch ihre permanente Wiederholung entwickelt sich das Deutsch ihrer Anwender zum »Papageien-Deutsch« (Schenk). „Dabei macht jede Floskel für sich noch kein schlechtes Deutsch aus. Allein ihr unablässiger, zwanghafter und unbewusster Gebrauch weist ihre Verwender als Menschen aus, die sich kaum, nicht hinreichend oder gar nicht mehr der Mühe sorgfältiger und präziser Formulierung unterziehen.«
»Instrumentenkasten« belegt Platz 5
Auf den Plätzen 2 bis 5 rangieren der Begriff »klimaneutral« (»Ein wohlklingendes Etikett, das bei näherer Betrachtung nicht immer hält, was es verspricht«), die Formulierung »links-gelb« (»Die Kombination ist ein gezielter Misskredit gegen politische Konkurrenz in neuer Dimension«), das Attribut »unvorhersehbar« (Im zweiten Jahr der Pandemie hätten gefühlte Wahrheiten oft die Oberhand gegenüber rationalen Fakten, »wenn es vorhersehbar um die Wählergunst geht«) und schließlich »Instrumentenkasten« (»Die Komposition suggeriert ein bundesweit gemeinschaftliches und einheitliches Vorgehen, das praktisch jedoch in länderspezifische Eigenwilligkeiten zerfällt«).
Seit 2014 macht das sprach- und medienkritische Projekt Floskelwolke auf »Floskeln, Phrasen und weitere fragwürdige Formulierungen in deutschsprachigen Nachrichtentexten« aufmerksam. Man wolle »dabei nicht anprangern, sondern sensibilisieren«, so Mitbetreiber Pertsch.
Die Zahl der Vorschläge für das Jahr 2021 ist im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Während für die erste Auszeichnung der »Floskel des Jahres« vor genau einem Jahr 178 Vorschläge eingetroffen seien, seien es für den aktuellen Negativpreis Anfang 2022 nur noch 72 Begriffe und Formulierungen gewesen. Die Gründe seien offensichtlich, so Pertsch: »Die Pandemie sorgte im ersten Jahr für zahlreiche Neologismen und Floskeln, die auch den Journalismus beschäftigten.« Die Vorschläge mit Bezug zur Pandemie seien diesmal weniger geworden. »10 der 72 Einreichungen bezogen sich immerhin aufs Impfen.« Die Floskelwolke-Macher fällten die letzte Entscheidung über die Top 5.
Texte: dpa-infocom, dpa: 220101-99-558396/3 aus WK 1. Januar 2022 und Wikipedia
Gefunden und gelesen von: Martin Rzeppa
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