So ist das auch bei der Bahn. Da wunderst Du dich. Die CDU hat gelernt aus dem Rezo-Debakel. Was lernen Großkonzerne? Anscheinend nichts, wie der unten stehenden Artikel aus der Spiegel-Online Redaktion schreibt. Wer Kunden als überflüssig wahrnimmt und ihnen keinen Respekt entgegen bringt, sollte sich nicht wundern. Wer Züge ausfallen läßt und dann noch beleidigt ist, Chancen vergibt und nur noch peinlich wirkt, muß sich überlegen, was er in dieser Zeit verloren hat.

Spiegel-Online:

Liebe Bahn, wie kann man das so verbocken?

Mooooment mal, junges Fräulein: Greta Thunberg postet aus dem ICE – und die Deutsche Bahn macht daraus eine Staatsaffäre. Analyse einer Blamage.


Ein Jammer, dass die Berliner Verkehrsbetriebe keine U-Bahn von Zürich nach Kiel unterhalten. Leider musste sich Greta Thunberg der Deutschen Bahn anvertrauen und dabei auf dem Boden sitzen. Und das Unternehmen reagierte, wie die Deutschen es von ihrer Bahn erwarten. Erst unbeholfen und dann schnippisch. Mit Verspätung. Ein Desaster auf gleich mehreren Ebenen.


Schließlich hatte der erste Tweet von Greta Thunberg eine gewisse Poesie, ein leichter Hauch von altersgemäßer Interrail-Romantik. Da sitzt die Reisende neben einem Stapel an Gepäck, unter illuminierten Plakaten für »die neue Bordgastronomie« und dem wunderbaren »Komfort Check-in«.

Ihr Gesicht ist, wie das einer Madonna von Guido Reni, fensterwärts dem Licht der Hoffnung zugewandt. Es handelt sich also um einen zertifizierten Qualitäts-Tweet aus dem Hause Thunberg, versendet vermutlich von ihrem Vater aus einem der „overcrowded trains through Germany“.

Und wer kennt diese Situation nicht? Ist der ICE überfüllt, hockt man sich eben in die Bucht neben der Tür; bestenfalls nicht direkt vor den Lüftungsschlitz der Heizung, die einem ansonsten die Nieren grillt. Genau so, wie Greta Thunberg hockt, hockten wir alle schon einmal: „Finally on my way home“, wie sie schreibt. Es könnte das versöhnliche Ende einer Geschichte sein, in der immerhin zweimal der Atlantik mit Windkraft überquert worden ist.

Es war ihr Anfang.

Denn die Bahn reagierte. Zuerst servil, man wolle künftig »weiter hart an mehr Zügen, Verbindungen, Sitzplätzen« arbeiten.

Dann, offenbar nach Rücksprache mit dem Bordpersonal, mit einem passiv-aggressiven »Mooooment mal, junges Fräulein!«, weil: die prominente Kundin und ihre Entourage hatten Tickets für die erste Klasse. Sieh an!

Die erste Ebene des Desasters ist, dass die Bahn ihre eigenen Fahrpläne und Fährnisse nicht kennt. Thunberg musste in Basel umsteigen, weil der ICE ausgefallen war – und bis Frankfurt sitzen, wo man nun einmal in solchen Fällen zu sitzen hat. Ab Frankfurt erst nahm sie ihren gebuchten Platz ein und berichtete nicht, »wie freundlich und kompetent« sie an ihrem »Sitzplatz in der Ersten Klasse« betreut wurde. Und wie lecker die Schokolade namens »Lieblingsgast« schmeckt, mit der man dort verwöhnt wird.

Die zweite Ebene des Desasters ist, dass Greta Thunberg selbst den Eindruck ausräumen musste, sie hätte sich mit einem gestellten Foto als Opfer der Deutschen Bahn inszeniert. Kein Wort dazu mehr aus der Öffentlichkeitsabteilung des Unternehmens, wahrscheinlich war dieser Zug bereits abgefahren.

Die dritte Ebene des Desasters besteht darin, dass die Bahn nicht nur personengebundende Fahrgastdaten (»Erste Klasse«!) öffentlich machte. Sie insinuierte damit, die berühmte Kundin sei eine Blenderin und Heuchlerin erster Klasse – und lieferte den zahllosen Kritikern der jungen Schwedin zusätzlich Munition. Sieh an!

Thema war plötzlich nicht mehr das lächerliche Ergebnis der Klimakonferenz von Madrid. Sondern der vermeintliche Umstand, dass die Aktivistin auf Auslegware zu sitzen vorgab, wo sie doch eigentlich mit viel Beinfreiheit im Sessel fläzte, war’s nicht so? »Wie echt ist Greta?«, fragte denn auch wie bestellt der »Bild«-Kolumnist Franz-Josef Wagner. Womit wir bei der vierten und trostlosesten Ebene des Desasters angelangt wären. Man mag von Greta Thunberg halten, was man will. Für ihre Anwesenheit in einem ICE würde das Unternehmen, wäre sie käuflich, mehr Geld hinblättern als für ihren Formel-1-Werbeträger Nico Rosberg.

Das war ein Geschenk für die Bahn – doch was macht sie daraus?

Eben erst stellt sich die Deutsche Bahn mit neuem Fahrplan und Wiederbelebung stillgelegter Strecken als ökostrombetriebene Mobilitätsalternative zu Automobil und Flugzeug dar – und dann steigt Greta ein. Wie kann man dieses Geschenk nicht nutzen? Wie kann man das verbocken?

Indem man sich benimmt wie der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und nicht entblödet, eine 16-Jährige zu trollen. Indem man eine Kundin bloßstellt, die aus Prinzip sogar überfüllte Züge für »no problem« und ein »großartiges Zeichen« hält.

Wenn Greta Thunberg in der U-Bahn in einer Pfütze aus Erbrochenem ausgerutscht und in den Armen eines Junkies gelandet wäre, hätte das famose Social-Media-Team der BVG vermutlich selbst diese Vorlage noch verwandelt und daraus PR-Gold gemacht.

Die Deutsche Bahn hingegen macht sich ohne Not zu einem Teil des Problems, nicht der Lösung.

Ihr ist wirklich nicht mehr zu helfen.

Zusammengestellt: Michael Rasch
Vorwort: Michael Rasch
Artikel aus Spiegel-Online 51/19
Bild: Greta Thunberg 

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