Die Jugend- und Auszubildenden-Vertretung, die an uns herantrat, hatte dazu schon Versuche unternommen. Auf ihren Versammlungen wurden kurze, selbstgemachte Videos zwischen den Wortbeiträgen gezeigt. Meist wurde ein Kino-Blockbuster nachsynchronisiert. Oder aber sie hatten eigene Szenen im Look und den wiedererkennbaren Ausstattungsmerkmalen der Kinofilme inszeniert, die dann Themen der Jugendvertretung dramatisierten. Das gab meist einen Lacher, wenn die Versammlung erkannte, wer da wen spielte.
Aber so was kann man ja nicht immer machen.
»Wir wollen mal was Neues probieren – und überhaupt soll die Qualität der Aufnahmen und auch der Dramaturgie verbessert werden«, so die ungefähre Vorstellung. »Deshalb planen wir einen Workshop.« Und zufällig kennt jemand einen, der einen kennt, der was mit Video macht.
So kam es zu der telefonischen Anfrage, ob wir helfen könnten, diese Ansätze weiterzuentwickeln.
Allen erschien es am einfachsten, erst mal mit den Jugendlichen anzufangen. Die mussten ja nur weitermachen, hatten wenig Scheu vor der Technik und kaum Blockaden vor der Selbstdarstellung.
So trafen wir uns zum Videoworkshop. Die Gruppe aus Jugendlichen und Mitgliedern der Jugend- und Auszubildendenvertretung hatte sich zusammengefunden, um »mal wieder was mit Video« zu machen. Ihr Ziel: An diesem Wochenende sollten mindestens drei Videoclips entstehen, damit sie für die nächsten Versammlungen vorbereitet seien. Schließlich gehe Video doch schnell.
Frisch gestärkt nach dem Frühstück reflektierten wir im ersten Schritt ausgiebig die bisherigen Erfahrungen mit dem Videomachen. Die alten Clips wurden gezeigt: Die Szenen waren lang, die Aufnahmen unruhig, die Töne verrauscht.
Der zweite Schritt war auf dieser Landpartie noch leicht zu bewältigen. Wir checkten die technischen Produktionsbedingungen der Jugend- und Auszubildendenvertretung und stellten vor, was wir an Technik und Support (also an Zubehör und Hilfsmitteln) mitgebracht hatten, um die Dreharbeiten zu optimieren.
Ganz langsam wurde dann deutlich, dass Filmemachen richtig Aufwand bedeutet und Arbeit ist.
Am schönsten ist das Filme gucken. Der Weg dorthin führt aber über viele Etappen, vor allem dann, wenn ein tatsächlicher Konflikt in der Ausbildungsrealität im Werk filmisch gestaltet werden soll.
Außerdem wurde deutlich: Die Themen, um die es in den Videos gehen soll, sind hier nicht.
Film ist kompliziert. Vieles muss zum Endprodukt zusammengetragen, bearbeitet, beachtet und gestaltet werden. Nicht nur Bild, Text, Musik und Ton. Was ist das Thema? Dann braucht es eine Idee – und noch eine Idee, eine Erzählung und die Dramaturgie. Und die Technik ist auch wichtig, also Bild- und Tonaufnahme, Schnittvorbereitung und Schnitt, Nachbearbeitung, Fertigstellung und Präsentation.
Bald erkannten wir, dass wir die ursprüngliche Absicht, an diesem Wochenende in der ländlichen Abgeschiedenheit drei Videoclips zu produzieren, begraben konnten. Video geht schnell, aber Film braucht Zeit. Es ist ein langer Weg vom Thema zum Produkt.
Film und Video sind nicht das Gleiche. Ein Videoclip ist eine kurze, nur wenige Minuten lange, audiovisuelle Sequenz. Eine formale Gestaltung ist nicht festgelegt. Alles ist möglich, vom Handy-Video über das Dokumentieren von Pleiten, Pech und Pannen oder tatsächlicher Unfälle und Katastrophen bis hin zum künstlerischen Kurzfilm. Immer ist etwas Spektakuläres, eine Übertreibung oder ein großer Zufall mit im Spiel.
Film aber ist das Berichten und Erzählen mit laufenden Bildern und Tönen. Erzählung oder Bericht braucht eine »Story« und die passende filmische Gestaltung. Ohne eine gedankliche und konzeptionelle Vorarbeit geht es nicht. Das Storyboard ist ein wichtiger Arbeitsschritt. Dieser Schritt ist wichtig, aber nicht actionreich – und als Gruppenprozess auch nicht gerade leicht. Wir haben uns da durchgeschuftet.
Die Einigung auf das Thema, das wir als Erstes bearbeiten wollten, fiel leicht. Auf die schlichte Frage hin, was das brennendste Problem in der Ausbildung sei, kam kein Widerspruch mehr, als jemand feststellte, dass das doch die Enge und die mangelhafte Ausstattung in der Ausbildungswerkstatt seien. »Das kann man aber nur vor Ort zeigen.« Also mussten wir ins Werk fahren, aber nicht ohne Vorbereitung.
Was muss alles getan werden, bevor an der Videokamera zum ersten Mal der An-Knopf für eine Filmproduktion gedrückt wird? Eine Idee muss zum Konzept werden, ein Drehbuch muss erstellt werden, die Dreharbeiten müssen vorbereitet werden, zum Beispiel muss eine Drehgenehmigung eingeholt werden, die Technik muss gecheckt werden, die Akkus müssen geladen sein, alle Kabel müssen da sein, man muss die Kamera kennenlernen, die Tonaufnahme muss geplant und vorbereitet sein, Aufgaben und Rollen müssen verteilt werden, und auch der Transport muss organisiert sein. Vor Ort, am Set und beim Dreh gilt dann die nächste To-do-Liste. Jetzt kommen die Lichtverhältnisse ins Spiel und – nicht zu vergessen – die Darsteller oder Mitwirkenden oder Protagonisten. Alle haben ihren eigenen Kopf und manchmal ganz andere Vorstellungen.
In der Lehrwerkstatt wurde endlich gedreht, und alle arbeiteten bereitwillig mit. Dann waren die Aufnahmen gemacht. Sogar die Szenen, die das Thema der Enge verstärken sollten, wurden abgedreht.
Die Idee: Auf eine eindeutige Tanzmusik schneiden wir das bekannte Kinderspiel »Die Reise nach Jerusalem«. Das funktioniert nämlich genauso in der Lehrwerkstatt.
Einige finden im ersten Anlauf keinen Schraubstock zum Üben. Und in der Frühstückspause wiederholt sich diese Situation – viele sitzen mit ihrer Frühstücksdose im Gang – und nicht auf Stühlen. Dann kommentiert die JAV-Vorsitzende die Ideen für eine Lösung. So sahen es das Storyboard und der Drehplan für unseren Videofilm vor.
Die eigentliche Arbeit wartete jedoch noch auf uns: Schnittvorbereitung und Schnitt. Die Technik war nicht das Thema. Die Jugend- und Auszubildendenvertretung hatte ihren PC mit einem leistungsfähigen Video-Schnittprogramm mitgebracht. Platz war auch kein Problem. Das Problem war die Zeit. So schnell geht Video eben doch nicht, vor allem nicht, wenn es ein aussagekräftiger Videofilm werden soll. Am letzten Seminartag, einem Sonntag, wurde also noch der Schnitt vorbereitet, Material gesichtet und digitalisiert, ein Montageplan erstellt und Musik ausgewählt. Erste Schnitte für den Film konnten wir auch noch machen.
Auf jeden Fall konnten wir an diesem Wochenende klären, dass »mal eben schnell ein Video machen« das Arbeitsvorhaben nicht ausreichend beschreibt.
Wer vor einem größeren Publikum präsentieren will, muss überlegen, wie diese vielen Menschen in die eigene Botschaft hineingeholt werden können. Das geht am besten mit einer (kleinen) Filmerzählung und mit starken Bildern – die auf den Versammlungen auch stark, also mit entsprechender Technik, Verdunkelung und Sound, projiziert werden müssen. Diese starken Bilder findet man nicht mal eben so – und auch nicht mit der Video- oder Handykamera. Dazu ist wieder Vorbereitung und richtige Aufnahmearbeit nötig: szenische Auflösung, Licht setzen, den Ton machen und vieles mehr.
Zum Glück führte der Lerneffekt unseres Wochenendes nicht zur Abkehr vom Filmemachen. Und klar wurde: Der Film kann die Geschichten erzählen. Dazu braucht es aber Zeit und viel Arbeit.
Text: Hans-Ulrich Fischer