In den Wahlprogrammen der Parteien zu Bundestagswahl 2021

Das stellte die Uni Hohenheim in ihrer neuen Studie vor. Kurz und knapp: Die Wahlprogramme werden immer unverständlicher. Was eigentlich verwundert, setzen doch die Parteien immer mehr auf Transparenz und Verständlichkeit. 

Der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Uni Hohenheim stellt fest: »Oft lässt die Verständlichkeit der Wahlprogramme zu wünschen übrig«. Bandwurmsätze mit bis zu 79 Wörtern gibt es. Sie sind zwar nicht die Regel, kommen aber vor. Es gibt auch kürzere Programme, beispielsweise für das Internet. Trotzdem ist eine der Forderungen der Uni: Parteien könnten durchaus verständlicher formulieren. Die Frage lautet: Wollen sie es nicht? Denn es gibt mittlerweile, auch von der Uni Hohenheim Mittel und Wege, Sprache einfacher und transparenter zu machen.  

Frank Brettschneider sagt sehr deutlich: »Die Themenkapitel sind aber das Ergebnis innerparteilicher Expertenrunden. Diesen ist meist gar nicht bewusst, dass die Mehrheit der Wähler ihren Fachjargon nicht versteht. Wir nennen das den ‚Fluch des Wissens’. Verständliche Passagen in den Einleitungen und einfache Schlussteile deuten darauf hin, dass hier jemand geschrieben hat, der sich bewußt ist, für wen geschrieben wird. «

Das Dilemma kennt jeder, der Experten schreiben lässt: Experten finden ihre Texte toll und so überzeugend, dass ihnen schwer klar zu machen ist, das es nicht für sie geschrieben wird, sondern für eine Zielgruppe, die wenig mit Fremd- und Fachwörtern zu tun hat und diese auch nicht versteht, sondern beizeiten das Lesen dann auch abbricht. 

Heftige Werte gefällig?

Die Grünen schreiben von einer »Fact-Finding-Mission«, wenn sie sich vor Ort ein Bild machen wollten. Die CDU/CSU wirbt für einen »Agri-FoodTech-Wagniskapitalfonds«, die AfD formuliert die »supranationale Remigrationsagenda« und die Partei Die Linke kennt einen »Antiziganismus«. Unverständlich seien auch das »Edge-Computing« (SPD) und der »Carbon LeakageSchutz« (FDP). Das Fazit: Komplizierte Sprache und komplexer Satzaufbau schließt Wähler aus. Das ist unverständlich, denn wenn ein Wahlprogramm überzeugend sein soll, muss es auch einfach sein. 

»Enttäuschend ist«, so Brettschneider, »dass die Ergebnisse noch schlechter als bei der jüngsten Bundestagswahl im Jahr 2017 sind«. Und er führt weiter aus: »Alle Parteien haben sich in den letzten Jahren Transparenz und Bürgernähe auf ihre Fahne geschrieben.« Mit ihren »teilweise schwer verdaulichen Wahlprogrammen« verschließen sie Menschen die Inhalte der Programme. Was umso komischer ist, weil gerade die Politikmüdigkeit dazu führen müsste, die Zukunft verständlich zu beschreiben. 

Software analysierte die Wahlprogramme

Für die Analyse benutzte sein Team eine Software für komplizierte Wörter oder verschachtelte Sätze. Die Analyse ist Teil eines Langzeitprojektes, bei dem seit der Bundestagswahl 1949 alle 83 Wahlprogramme der im Deutschen Bundestag oder in drei Landtagen vertretenen Parteien untersucht werden. Ein weiteres Ergebnis: »Wahlprogramme werden immer länger«, erklärt Brettschneider. Formulierten die Parteien bei der ersten Bundestagswahl 1949 ihre Vorhaben noch im Schnitt mit 5.498 Wörtern, so sind es nun 43.541 Wörter pro Programm – acht Mal so viele.

»Quellentelekommunikationsüberwachung«. Alles klar?

Die eigentlich traditionellen Spitzenreiter, die Grünen, werden beim längsten Wahlprogramm in diesem Jahr abgelöst von der Links-Partei. Die kürzesten Programme haben die AfD und die SPD vorgelegt. Dafür weist das Programm der AfD den längsten Bandwurmsatz auf. Wortungetüme wie »Quellentelekommunikationsüberwachung« (FDP, Linke) und Fachbegriffe wie „Cell-Broadcasting-Technologie“ (CDU/CSU), »Cybergrooming« (Grüne) oder »Life-Chain« (SPD) finden sich aber breit gestreut über die Parteigrenzen hinweg. Am formal verständlichsten ist laut dem »Hohenheimer Verständlichkeitsindex« das Wahlprogramm der Partei Die Linke, den letzten Platz belegen die Grünen. »Es handelt sich um das formal unverständlichste Wahlprogramm der Partei seit 1983«, kritisiert Brettschneider.

Chancen werden nicht genutzt

Brettschneider, der sich schon lange an der Uni mit diesen Themen beschäftigt, sagt: »Wichtiger als die Sprache sei natürlich stets der Inhalt.« »Und Unfug wird nicht dadurch richtig, dass er formal verständlich formuliert ist.« Formale Unverständlichkeit stellt eine Hürde da, wenn Inhalte verstanden werden sollten. Und bekanntlicherweise geht es darum, oder?

Autor: Michal Rasch
Link: www.uni-hohenheim.de
Fotomontage: Michael Rasch