Die neue Auflage des Nachschlagewerks, dem Konrad Alexander Friedrich Duden 1880 seinen Nachnamen gab, ist da: Es ist der dickste, umfangreichste Duden, den es je gab. Aber es kamen nicht nur viele Wörter hinzu, es wurde auch ordentlich gestrichen.
Oldschool ist der Duden schon seit 2017. Damals nahm die Mannheimer Redaktion des umfassenden Standardwerks zur deutschen Rechtschreibung dieses englische Wort für »klassisch, nostalgisch, veraltet« auf. Hinzugekommen in der heute nun erschienenen 28. Auflage des Duden ist der Begriff »vintage«: »vintage«heißt nichts anderes als »älter, aber wieder in Mode«.
Der Duden, das Vintage-Möbel des deutschen Bildungsbürgerhaushalts
Der Duden darf als ein Vintage-Möbel des deutschen Bildungsbürgerhaushalts gelten, er gehört auch heute noch zum Inventar – selbst wenn er einer fernen Zeit entstammt, in welcher »Kabelnachricht« noch ein gängiger Begriff war, man auf Reisen noch einen »Zehrpfennig« mit sich führte und »Tressenröcke« trug. Letztere drei Begriffe – »Tressenrock«, »Zehrpfennig« und »Kabelnachricht« – standen noch in der 27. Auflage 2017, nun aber sind sie als das erkannt worden, was sie schon seit langem sind: demodée, obsolet, überholt. Also hat man sie aus der 2020er Auflage gestrichen.
Zu den insgesamt 300 gestrichenen Wörtern zählen auch solche Kuriosa wie »Schlafgänger«, »Kammerjungfer« oder »beweiben«, deren Verlust niemand beweinen wird. So zeitverzögert der Duden in diesen Fällen reagiert hat, so schnell nimmt er heuer noch ganz junge Wortprägungen der Corona-Zeit auf: Reproduktionszahl, Herdenimmunität und Shutdown. Über manches mag man streiten: Spricht man tatsächlich von der »Ansteckungskette«, die nun neu in den Duden aufgenommen worden ist? Ist in Zeiten von »Covid-19« nicht die »Infektionskette« gebräuchlicher, die ebenfalls neu im Duden steht ? Und ist die richtige Schreibweise des Kompositums »Ansteckungskette« wirklich fraglich, so dass man sie im Duden nachschlagen muss?
Home-Office & Co. – viele neue Anglizismen im Duden
Fragen zur korrekten Schreibweise dürften sich am ehesten bei Begriffen ergeben, die aus dem angloamerikanischen Sprachraum in den deutschen eingewandert sind: bei »Influencer«, »Hatespeech«, »Tiny House«, »Brexiteer«, »Craftbeer«, »Lifehack« oder der »Powerbank«, einem anderen Wort für »mobile Ladestation« (auch die »Ladesäule« kommt zu ihrem Recht). Dazu kommen in der Alltagssprache immer stärker verbreitete Verben wie »liken«, »doodeln« oder »leaken« und natürlich das »Home-Office«.
An diesem Duden-Neuzugang lässt sich die Permissivität des Wörterbuchs aufzeigen: In strenger Lesart bedeutet »Home-Office« in seinem Ursprungsland Großbritannien nicht »Arbeiten von zu Hause«, sondern »Innenministerium«. Durch die eindeutige Verwendung hierzulande in der Bedeutung von »Büroarbeit daheim verrichten« hat sich der Begriff aber hierzulande eingebürgert und steht also nur in dieser Bedeutung auch im neuen Duden – neben Wörtern wie »Klimanotstand« oder »Fridays for future«, dem Oberbegriff der internationalen Klimaschutzbewegung.
Geschlechtersensibel
Dass unter den Neuzugängen sich das Adjektiv »genderfluid« (»eine sich zwischen den Geschlechtern bewegende Geschlechtsidentität bezeichnend«) befindet, mag anzeigen, dass der Duden auch hier mit der Zeit geht. Zum ersten Mal finden Nutzer im Duden Hinweise zum gendergerechten Sprachgebrauch. Ein Thema, für das es bisher keine Norm gibt und über das der »Rat für deutsche Rechtschreibung« streitet.
Die Duden-Redaktionsleiterin Kathrin Kunkel-Razum ist auf die Reaktionen zu den neuen drei Seiten gespannt – wohl wissend, dass sie für Diskussionen sorgen können. »Wir legen Wert darauf zu sagen, dass das keine Regel ist, die wir verordnen«, betonte sie gegenüber der dpa. Das dürfe die Redaktion nicht und wolle sie auch nicht, aber sie erhalte eben sehr viele Anfragen zu dem Thema. Die Redaktion habe sich bemüht, die Probleme und die derzeit vorhandenen Lösungsvarianten zu beschreiben. Im Duden steht nun zum Beispiel über den umstrittenen Genderstern: Es sei zu beobachten, dass sich diese Variante in der Schreibpraxis »immer mehr durchsetzt«. Zu finden sei sie besonders in Kontexten, in denen Geschlecht nicht mehr nur als weiblich oder männlich verstanden werde und die Möglichkeit weiterer Kategorien angezeigt werden solle. Als Beispiel wird »Schüler*innen« genannt.
Zwinkersmiley steht nun im Duden
148.000 Stichwörter umfasst der neue Duden. 3.000 davon sind Neuaufnahmen. Die gute alte »Wählscheibe« hat überlebt, der »Fernsprechanschluss« musste weichen – das sind die Paradoxien, die das Blättern im Duden aber auch immer wieder überraschend machen. Hinzugekommen sind das »Geisterspiel«, das »Katzenvideo« und für die Hipsterfraktion: »Bartöl« sowie »Männerdutt«. Der schönste Neuzugang aber dürfte auf das Konto eines Satirikers und Abgeordneten des Europäischen Parlaments gehen: Martin Sonnenborn (»Die Partei«) hat diesem Wort auf seinem Twitter-Account eine ungeheure Prominenz beschert: »Zwinkersmiley«. Ein Wort für ein Emoji – jetzt im Duden, der sich damit als mehr als liebenswertes Relikt erweist.
Quelle: BR24, 12. August 2020, 10:07 Uhr