Unterschiedliche Herkunft – Gemeinsame Werte.
Familie, Liebe, Offenheit, Sicherheit, Freiheit, Erfolg, Gerechtigkeit, Anerkennung, Respekt, Vertrauen, Solidarität, Zusammenhalt …
Was ist uns wirklich wichtig? Welche Werte haben Menschen aus anderen Herkunftsländern? Sind diese Werte vereinbar mit »unseren« Werten? Und: Lassen sich Werte verordnen im Sinne einer »Leitkultur«?
Mit dem Projekt »insan…Mensch – meine Werte« sucht der Kulturladen Huchting nach Antworten – Und ist im eigenen Stadtteil fündig geworden.
Das ist mir wirklich wichtig.
»Werte entwickeln und verändern sich im Laufe der Biografie eines Menschen und sind kulturübergreifende menschliche Grundbedürfnisse.« Deshalb gibt es bei den Werten mehr Gemeinsames als Trennendes – man muss nur richtig hinsehen und – richtig zuhören. Das schreiben die Ausstellungsmacher.
»Der Schwerpunkt dieser Projektarbeit liegt auf den Werte-Übereinstimmungen und macht diese gemeinsam geteilten Werte mit künstlerischer Biografiearbeit für die Öffentlichkeit sicht- und hörbar.«
50 Personen wurden zu ihren drei wichtigsten Werten im Tonstudio befragt und anschließend fotografisch porträtiert. In der Werkstatt Kreatives Schreiben entstanden 25 persönliche Geschichten. Begehbare Bücher mit den Portraits sind nun ausgestellt – erst in der unteren Rathaushalle und jetzt in in der Zentralbibliothek. Die Interviews sind auch als Podcasts zu hören.
Hier zeigen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft mit ihren individuellen Werten, ihren persönlichen Erfahrungen und den Gründen, warum gerade diese Werte für sie am wichtigsten sind.
Familie – die ist vielen sehr wichtig.
Für den jungen Vater; den jungen Flüchtling, der ohne seine Familie hier ist; die muslimische Mutter mit den erwachsenen Kindern. Sie leben in Bremen und erzählen ihre Geschichte, warum ihnen Familie so besonders wichtig ist.
»Mein wichtigster Wert ist die Familie. Seitdem ich Familienvater bin und einen Sohn habe, ist mir Familie besonders wichtig. Meine Großeltern hatten acht Kinder und sich dort (Ostdeutschland) gemeinsam etwas aufgebaut. Sie hatten nicht viel Geld, aber ihnen war es wichtig, dass alle gutes Essen bekommen, eine gute Bildung haben und dass man sich die Wohnung ’schön macht‘. Ich glaube, dass wir zu DDR-Zeiten schon sehr familiär und gemeinschaftlich orientiert waren. Ich fahre regelmäßig in die alte Heimat zurück und plötzlich steigt – am Tisch von Mama sitzend, mit dem Bruder ins Gespräch zu kommen oder die Großeltern zu sehen – ein Wohlbefinden auf.«
Patrick Bohne, 43 aus Havelberg
»Ich bin der älteste von vier Brüdern und habe Kobane verlassen, als ich 15 war, da es dort für mich keine Zukunft und keine Sicherheit gab. Meine Familie konnte nicht mitkommen, da der Weg viel zu gefährlich war und sie sich das auch finanziell nicht leisten konnten – so haben sie mich unterstützt und hierher geschickt. Mein großer Wunsch ist, dass ich meine Familie irgendwann auch regelmäßig wieder treffe. Wenn ich selber Kinder habe, möchte ich sie immer sehen können, damit sie nicht das Gleiche erleben müssen, was ich erlebe…«
Azad Kour, 20 aus Kobane, Syrien
»Ich habe drei erwachsene Kinder und mittlerweile auch zwei Enkelkinder. Bei meiner ganzen ehrenamtlichen Arbeit hat mich meine Familie sehr unterstützt, am meisten mein Ehemann. Wenn er mir nicht den Rücken freigehalten hätte, hätte ich meine ganzen vielen Ehrenämter nicht so machen können, wie ich wollte. Er hat immer gesagt: »Ich stehe hinter dir und stärke dich.« Aber auch meine Eltern und meine Geschwister sind eingesprungen, wenn ich Hilfe gebraucht habe. Ich war so mit Herz, Leib und Seele dabei, mitzugestalten und mich einzubringen. So wie ich bin, mit meiner Identität zu sagen: Wir sind ein Teil der Gesellschaft. Ich bin ein Teil der Bremischen Gesellschaft, als muslimische Bremerin mit türkischen Wurzeln und ich möchte mich einbringen.«
Halime Cengiz, 54 aus Sögüt Türkei
»Familie ist sehr wichtig. Das merkt man am meisten, wenn man die Familie verlassen hat und auswandern musste. Das trifft auch auf mich zu. Ich habe das erlebt. Ich bin jetzt allein hier. Obwohl hier viele Menschen sind, fühle ich mich einsam.«
Fatima, 19 aus Eritrea
»All meine Werte sind geprägt von meiner Familie: von meinen Eltern, meiner Großmutter in Syrien. Ich habe in Syrien eine sehr große Familie, die ich sehr vermisse. Dieser Zusammenhalt, diese Stütze, haben mein ganzes Leben geprägt. »Wir sind deine Familie, wir sind für dich da und helfen dir.« Das ist das, was mir Halt gibt – bei allem was ich mache und das gebe ich auch an meine Kinder weiter.«
Jasmina Heritani, 37 aus Albstadt
»Ohne den Zusammenhalt der Familie wäre vieles für uns als Minderheit sehr, sehr schwer gewesen. Wir verbringen sehr viel Zeit miteinander. Wir sind zehn Geschwister. Ich bin der Älteste mit 42 Jahren und meine jüngste Schwester ist 26.
Cindi Tuncel, 42 aus Mardin, Kurdistan
Auch in einer (Fußball-) Mannschaft sind wir, wenn wir uns für etwas einsetzen und zusammenhalten, immer stark. Sich zuhören, sich gegenseitig unterstützen, das hilft, friedlich und gemeinschaftlich sowohl in der Familie, in einer Gruppe oder in einem Dorf miteinander zu leben.«
Das gemeinsame Band zwischen den Menschen sind die Werte.
Wirft man einen Blick darauf, wie der Begriff »Wert« aktuell verstanden und benutzt wird, so gewinnt man leicht den Eindruck, als handle es sich bei Werten um eine neuzeitliche Art der »zehn Gebote« für Verhalten, die jedem Bürger als Orientierung einsichtig sein sollten.
Der Begriff »Wert« hat jedoch ursprünglich diese Bedeutung: »einen Wert haben«, das heißt »für eine Person, bzw. für eine Gemeinschaft wertvoll sein«. Damit ist es eine subjektive Beziehung, in der die Wertschätzung zu einer Sache zum Ausdruck kommt. Also wird diese Sache erst durch die persönliche Wertschätzung (Einzelner oder einer Gemeinschaft) zu einem Wert erhoben.
Entscheidend ist, dass etwas zu einem Wert wird, weil es jemanden gibt, der es wertschätzt!
Das sagt die Sozialforschung zu Werten und ihrer Wirkung.
Familie ist vielen wichtig – unabhängig von der Herkunft – oder auch gerade deswegen. Wie steht’s mit Liebe, Offenheit, Gerechtigkeit, Solidarität…? Werte in der Kommunikation erzählen Geschichten, schaffen Bilder und Emotionen. Werte verbinden. Wer mit Menschen reden will, muss wissen, was ihnen wirklich wichtig ist. In der Kommune, im Stadtteil und im Betrieb.
In unseren Seminaren und Workshops trainieren wir die Kommunikation mit Werten, damit in den Betrieben Menschen sich besser verstehen und gemeinsam handeln. Mit werteorientierter Kommunikation werden Betriebsräte und Gewerkschaften besser verstanden und erfolgreicher.
Die Ausstellung »insan…Mensch – meine Werte« lässt Menschen erzählen, was ihnen wirklich wichtig ist. So knüpft sie Verbindungen und Verständnis auch über die unterschiedliche Herkunft hinweg. Die Idee ist unbedingt zur Nachahmung empfohlen.
Glossar:
www.kulturladen-huchting.de
Der Kulturladen Huchting ist die Stadtteilkultureinrichtung in Bremen-Huchting, die sich mit kultureller Bildung, Musik, Tanz, Theater, Foto, Video, Radio, Mixed Media, Bildende Kunst und Sprachen an alle Alters- und Bevölkerungsgruppen richtet.
Der Kulturladen wird von ca. 400 Menschen unterschiedlicher Herkunftskulturen wöchentlich besucht, und kooperiert darüber hinaus in seinen Projekten mit (fast allen) öffentlichen Einrichtungen im Stadtteil.
In den letzten Jahren entwickelt der Kulturladen Projekte, die sich künstlerisch mit den Vorstellungen über eine gemeinsamen Zukunft und geteilte Werte auseinandersetzen.
Dazu wurde die Projektreihe »insan…mensch« entwickelt, in der mit Menschen aus anderen Herkunftsländern, ihren persönlichen Geschichten und ihren Werten gearbeitet wird.
Sie brachten dem Kulturladen sowohl den Bremer Integrationspreis »Diversitypreis« ein und auch eine Nominierung für den »Nationalen Integrationspreis der Bundeskanzlerin«.
Texte: Zitate aus der Ausstellung »insan…Mensch – meine Werte« Kulturladen-Huchting
Glossar Text: Kulturladen-Huchting, Martin Rzeppa
Fotos: Martin Rzeppa