Das macht Bewegungen aus: Sich interessant machen, seine Vorzüge vorstellen und eine tiefe Bindung eingehen. Die Chancen sind groß, der Markt der Möglichkeiten ebenso. Was Helen Fisher auch sagt: »Du musst rausgehen und diese Person treffen, niemand anderer kann diesen Job für dich machen.« 
Die berühmte Liebesexpertin über das Geheimnis von Langzeitpaaren und die Tücken des Online-Dating.
von Julia Pfligl

Ihr Forschungsthema wird auch im neuen Jahrzehnt ein Dauerbrenner bleiben: Die US-Star-Anthropologin Helen Fisher, 74, lüftete im Interview mit dem KURIER die Geheimnisse der Liebe.

KURIER: Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit Liebe aus wissenschaftlicher Sicht. Wie lautet Ihre Definition?
Helen Fisher: Nun, man muss zwischen drei Systemen im Gehirn unterscheiden: dem Sexualtrieb, der romantischen Liebe und der tiefen Bindung. Das Erste, was bei der romantischen Liebe passiert, ist, dass alles eine spezielle Bedeutung bekommt – die Straße, in der die Person lebt, die Musik, die sie hört, selbst ihr Auto auf dem Parkplatz unterscheidet sich von all den anderen. Man ist voller Energie, kann die ganze Nacht auf den Beinen sein und bis zum Morgen reden. Dazu kommen körperliche Merkmale: Schmetterlinge im Bauch, weiche Knie, ein trockener Mund, Nervosität. Auf der anderen Seite krankhafte Eifersucht und Trennungsangst. Man ist hoch motiviert, die Person für sich zu gewinnen. Es ist erstaunlich, wozu Verliebte im Stande sind.

Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass dieser Zustand nicht ewig anhält, richtig?
Studien haben gezeigt, dass diese Phase 18 Monate bis drei Jahren dauert. Ich habe mit meinen Kollegen etwas anderes festgestellt: Wir beobachteten die Gehirnaktivität von Paaren, die seit mehr als zwanzig Jahren verheiratet waren und uns sagten, dass sie in ihren Partner noch immer sehr verliebt seien. Tatsächlich: Jene Gehirnregion, die Dopamin produziert und mit romantischer Liebe assoziiert wird, war genauso aktiv wie bei Frischverliebten. Der einzige Unterschied war, dass wir dort, wo Ängste entstehen, keine Aktivität messen konnten. Die Langzeitpaare waren also verliebt, aber nicht mehr so ängstlich.

Haben Sie auch herausgefunden, was diese glücklichen Paare anders machen?
Im Gehirnscan konnten wir sehen, dass drei Fähigkeiten besonders ausgeprägt waren: Empathie; die Kontrolle über Stress und eigene Emotionen; die Eigenschaft, über die Schwächen anderer hinwegzublicken und stattdessen darauf zu fokussieren, was man an der Person mag.

Kann man diese Fähigkeiten erlernen?
Das Gehirn kann ja alles Mögliche lernen – nicht unhöflich zu sein, die richtigen Dinge zu essen, weniger Alkohol zu trinken etc. Also ja, ich denke, dass wir auch das Lieben lernen können.

Lassen Sie uns über die Liebesfähigkeit meiner Generation, der Millennials, sprechen. Sind Sie besorgt?
Darüber habe ich in meinem wissenschaftlichen Artikel »Slow Love – Courtship in the Digital Age« geschrieben. Die Quintessenz ist: Ich bin wirklich beeindruckt von der jungen Generation, weil ihr so ehrgeizig und anspruchsvoll seid. Zuerst seid ihr nur Freunde, dann werdet ihr »Friends with Benefits« (Freunde mit gewissen Vorzügen, Anm.). Dabei lernt ihr eine Menge über den anderen: nicht nur, wie er im Bett ist, sondern auch, ob er zuhören kann, welchen Humor er hat etc. Dann erst erzählt ihr der Familie davon und habt das offizielle erste Date. Ihr wollt alles über die Person wissen, bevor ihr in einer schlechten Ehe endet. Ihr habt eure One Night Stands, keine Frage, aber ihr seid sehr vorsichtig, wenn es um fixe Beziehungen geht.

Wird durch diese Ansprüche nicht alles komplizierter?
Wenn Sie »Jane Austen« gelesen haben, wissen Sie, dass eine Frau früher einen Mann heiraten musste, der die richtige Religion hatte, den richtigen sozialen Status, die richtige Bildung, und im besten Fall aus der Nachbarschaft kam. Als Anthropologin kann ich Ihnen sagen, dass eine junge Frau zur Zeit der Jäger und Sammler in ihrem Leben nicht mehr als neun Menschen überhaupt getroffen hat. Heute können wir aus einem viel größeren Biotop fischen. Es ist also komplizierter, weil es mehr Optionen gibt, und es ist unkomplizierter, weil es weniger Regeln gibt. Natürlich wird es immer schwierig sein, die richtige Person zu finden.

Was halten Sie von Dating-Apps, die die Liebessuche zuletzt geprägt haben?
Ich nenne sie nicht Dating-Apps, sondern Vorstellungs-Apps: Sie können dich jemandem vorstellen, der in der Nähe wohnt, die richtige Größe hat, das richtige Alter und den richtigen Schulabschluss. Aber der einzig wahre Algorithmus ist dein Gehirn. Du musst rausgehen und diese Person treffen, niemand anderer kann diesen Job für dich machen. Aber ja, ich empfehle Online-Dating.

Sie arbeiten mit Match.com, einem Online-Dating-Portal, zusammen. Was raten Sie den Nutzern?
Das größte Problem ist, dass die Auswahl zu groß ist. Unser Gehirn ist nicht dafür gemacht, aus so vielen Menschen zu wählen. Wenn es mehr als neun Optionen gibt, ist es unwahrscheinlich, dass wir uns überhaupt entscheiden. Daher mein Rat: Wenn Sie neun Personen getroffen haben – Stopp! Verlassen Sie die App und lernen Sie eine dieser neun besser kennen. Alle Daten zeigen: Je näher wir eine Person kennenlernen, desto eher mögen wir sie.

So einfach ist das? 
Die Sache ist die: Unser Gehirn ist dafür gebaut, »Nein« zu sagen. Es gibt einen riesigen Bereich, der sich nur an das Negative erinnert. Das entstand vermutlich vor Millionen von Jahren, als es lebenswichtig war, sich an Gefahren zu erinnern. Wenn wir also heute jemanden treffen, neigen wir dazu, nur an die eine negative Sache zu denken: Oh, er hat nicht über meine Witze gelacht, er hat keinen Sinn für Humor…

… er trägt die falschen Schuhe …
Genau, ein perfektes Beispiel. Am besten ist, man denkt für jede negative Sache an vier Sachen, die einem gefallen. Jedenfalls können wir bis jetzt zwei Effekte von Online-Dating feststellen: Es gibt mehr Ehen zwischen verschiedenen Ethnien. Und die Ehen scheinen stabiler zu sein, wenn sich die Partner online kennengelernt haben.

Warum denn das?
Ich konnte es mir auch nicht erklären, also habe ich eine Studie über Online- und Offline-Paare gemacht. Es stellte sich heraus, dass Menschen, die einander online getroffen hatten, eher einen Vollzeitjob und eine höhere formale Bildung hatten und eher nach einer Langzeitbeziehung suchten. Online-Dating hat also seine Vorzüge, aber man muss wissen, wie man es verwendet.

Die #MeToo-Bewegung hat die klassischen Geschlechterrollen neu verteilt. Lässt sich schon sagen, wie sie sich auf das Daten auswirkt?
Im Rahmen einer großen Single-Studie, die ich jedes Jahr durchführe, habe ich ein paar Männer zu den Folgen von #MeToo befragt. Die Resultate waren bemerkenswert: 51 Prozent der Männer gaben an, dass sie durch #MeToo ihr Verhalten geändert hätten. 40 Prozent sind gegenüber Arbeitskolleginnen zurückhaltender, 33 Prozent bei Dates, 28 Prozent in den sozialen Medien. Das ist eine massive Veränderung im männlichen Verhalten. Jedoch wollen Frauen immer noch, dass der Mann den ersten Schritt macht: 90 Prozent der Männer freuen sich, wenn die Frau den ersten Kuss initiiert, jedoch nur 15 Prozent der Frauen. Frauen wollen Gleichstellung im Job, aber traditionelle Geschlechterrollen beim Werben.

Über die Feiertage kämpfen viele Menschen mit Liebeskummer. Wie heilt man ein gebrochenes Herz?
Es gibt keinen guten Weg. Wir alle leiden, es ist eines der stärksten Systeme im Gehirn überhaupt. Ich würde Liebeskummer wie eine Sucht behandeln: alle Karten und Briefe, überhaupt alles, was einen an diese Person erinnert, in eine Schachtel geben und verräumen. Nicht schreiben, nicht anrufen, nirgendwo hingehen, wo diese Person sein könnte. Sport hebt den Dopamin-, Umarmungen von Freunden den Oxytocinspiegel. Neue Dinge mit neuen Leuten ausprobieren. Einfach weitermachen.

Kann jeder Mensch Liebe finden?
Absolut! Falls es jemals eine Zeit in der Menschheitsgeschichte gab, in der man den richtigen Partner finden konnte, dann jetzt.

Zur Person
Helen Fisher, geboren 1945, gilt weltweit als eine der renommiertesten Expertinnen für Liebe und Sex. Die Anthropologin ist Mitglied des »Center for Human Evolution Studies« und forscht an der Rutgers University in New Brunswick im Bundesstaat New Jersey. Die US-Amerikanerin ist wissenschaftliche Beraterin des Online-Liebesportals Match.com. Autorin zahlreicher Sachbücher, unter anderem »Die vier Typen der Liebe: Wer zu wem passt und warum« und »Warum wir lieben: Die Chemie der Leidenschaft«. Weitere Informationen: www.helenfisher.com

Einlauftext: Michael Rasch
Text und Interview: kurier.at  Stand: 02.01.2020, 05:00
Bild: Krabben pulen