Ach, ich hab es schwer.
Aber ich bin nicht bereit, mein Elend alleine auszusitzen, deswegen kommt der Kollege in der Büroküche wie gerufen. Ich hole gerade Luft, da ist der Kollege schneller: Mensch, was hat er es momentan schwer. Seine jüngste Tochter zahnt, an Schlaf ist nicht zu denken. Dann hat ihm irgend so ein Idiot heute früh den Parkplatz weggeschnappt. Und überhaupt…
Tatsächlich dachte ich immer, Jammern sei gesund. Lass Deinen Frust raus. Friss nichts in Dich rein. Dabei ist (ständiges) Jammern überhaupt nicht gesund, wie die Wissenschaft inzwischen herausgefunden hat.
Jammern wird schnell zur Gewohnheit
Das Gehirn mag es simpel. Es will effizient arbeiten und sich unnötigen Aufwand sparen. Also legt es gerne Muster an, die später bei ähnlichen Situationen einfach wieder abgerufen werden. So entstehen Gewohnheiten. Nur ein paar Mal morgens aufgestanden, aus dem Fenster geschaut und übers Wetter geschimpft, und prompt speichert mein Gehirn ein Muster ab: Morgens aufstehen = Scheiß Wetter!
Beim nächsten Mal stehe ich morgens auf und hab schon »Scheiß Wetter!« gerufen, bevor ich überhaupt aus dem Fenster geschaut habe (ist natürlich besonders tragisch, wenn ausgerechnet an diesem Tag die Sonne scheint). Und so geht das schlimmstenfalls weiter, bis ich eines Tages mit 80 im Schaukelstuhl sitze und meinen Enkelkindern von einem Leben unter durchweg schlechtesten Wetterbedingungen erzähle.
Laut Psychologe Jeffrey Lohr von der Arkansas University bleibt es aber nicht bei meiner Wetter-Aversion. Ich habe meinem Gehirn damit lediglich die Grundrichtung vorgegeben.
Nach einiger Zeit im Jammer-Modus sind meine Neuronen so vernetzt, dass meine Gedanken automatisch die negative Richtung einschlagen – egal, worum es geht.
Jammern steckt an
Oft fällt uns das aber viel eher bei anderen auf als bei uns selbst. Diese eine Freundin, die immer nur alles schwarzmalt. Der Chef, der aber auch immer was zu kacken hat. Mein Gott, wie die nerven mit ihrem ständigen Genöle!
Und manchmal manipulieren sie uns damit sogar. Der Hamburger Psychologe Michael Thiel sagt: »Menschen, die jammern, müssen nicht immer die Schwachen sein. Hier werden oft andere für die eigene Unzufriedenheit verantwortlich gemacht.«
Ich war mal mit einem Mann zusammen, der hatte dauernd Rücken. Dazu kamen Freunde, von denen er sich ausgenutzt fühlte. Ein Chef, der ihn einfach nicht befördern wollte. Erkältung. Die Sonne, die ausgerechnet dann zu grell war, wenn er gerade seine Sonnenbrille nicht dabei hatte. Die Tomaten im Salat, obwohl er den Salat ohne Tomaten bestellt hatte. Kurzum: die permanente Arschkarte.
Nicht dass ich seine Probleme (na ja, zumindest einige davon) nicht verstanden hätte. Vielmehr hatte ich dauernd das Gefühl, all das, worüber er sich ständig beklagte, irgendwie ausgleichen zu müssen.
Also hab ich seinen Rücken massiert, ihm Tee gekocht und die Tomaten aus dem Salat gepickt, dumme Witze erzählt, um ihn aufzumuntern, versucht ihn zu motivieren. Das Ergebnis: Glücklich war er trotzdem nicht, stattdessen fand er nur immer neue Gründe, um zu jammern – und ich habe selbst angefangen zu jammern: über den Mann, der immer nur jammert. (Wie hieß der eigentlich noch mal? Hm, vergessen. Könnte am folgenden Studienergebnis liegen.)
Jammern macht vergesslich
Eine Studie der Stanford University belegt, dass Jammern einen Teil des Gehirns schrumpfen lässt: den Hippocampus. Der gehört zum limbischen System und ist für das Gedächtnis zuständig. Ewiges Jammern fördert also die Vergesslichkeit. Klingt im ersten Moment vielleicht nicht so schlimm. Bis man sich bewusst macht, dass der Hippocampus auch zu den ersten Regionen gehört, die bei einer Alzheimererkrankung geschädigt werden.
Jammern bedeutet Stress
Wir jammern nicht grundlos, irgendetwas hat uns geärgert, traurig oder wütend gemacht. Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber wenn ich mich ärgere, dann bin ich selten entspannt dabei. Mein Herz rast. Meine Schläfen pochen. Ich bin unruhig und fahrig, als hätte ich eine Kanne Kaffee auf Ex gekippt. Der Grund: Wenn das Gehirn negative Emotionen wie Wut oder Ärger verarbeitet, gibt es Alarmsignale an den Körper weiter. Das Stresshormon Cortisol wird ausgeschüttet. Ein dauerhaft zu hoher Cortisol-Pegel soll das Risiko von Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Fettleibigkeit, Diabetes und Depressionen erhöhen.
Auswege aus dem Jammertal
Anstatt im Dauer-Modus zu jammern, lass uns dankbar sein. Für all die kleinen und großen Dinge in unserem Leben, die uns keinen Grund zu klagen geben. Dann regnet es eben an diesem Morgen, na und? Dafür wache ich in einem schönen Zuhause auf, habe ein gutes Kind – und nebenbei bemerkt ja auch noch einen Regenschirm. So polen wir unser Gehirn von negativ sofort (aber auch dauerhaft) zurück auf positiv.
Allein durch Dankbarkeit sinkt der Cortisolpegel nachgewiesenermaßen um 23 Prozent, wie die University of California in Davis bei ihren Nachforschungen herausgefunden hat. Bessere Laune, mehr Energie und weniger Stress – im Gegensatz zur »chronischen Jammeritis« sind das doch »Nebenwirkungen«, mit denen es sich gut leben lässt, oder?
Text von: Romy Hausmann
Veröffentlicht auf: MyMonk, März 2017
Zusammengestellt von: Michael Rasch
Foto: Weser-Kurier