Das liest doch keiner…
Gerade noch rechtzeitig. Am Samstag – bevor alle Buchhandlungen und Bibliotheken schließen mussten – habe ich mich noch eingedeckt: Ein Buch über das Meer, dazu einen spannenden Abenteuer-Roman von einer Weltumsegelung. Einen eiskalten Thriller über die Arktis. Einen Spiegel-Bestseller über Amerika. Für die Fortbildung: Sprache und Sein. Und die Känguru-Chroniken. Am ersten Tag der »Kontaktbeschränkung« waren schon zwei verschlungen – jetzt heißt es haushalten. Das Home-Office strengt an. Nur Print lesen in Zeiten von Corona?
Wie sieht die Zukunft des Lesens aus? Damit beschäftigt sich die AWA 2019, die Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse des Instituts für Demoskopie Allensbach. Dr. Johannes Schneller geht der Frage nach, wie sich das Leseverhalten und die Mediennutzung in Zukunft verändern werden.
Was wollten die Forscher herausfinden?
Der tiefgreifende Wandel der Mediennutzung verändert die Lesepraxis. Wir erleben einen andauernden dynamischen Veränderungsprozess der Nutzungsmuster und der Beziehungen zu den Medien.
Das Internet gewinnt an Bedeutung als Nachrichtenmedium und als Medium der gezielten Information. Das bisher habituell geprägte Informationsverhalten wird zunehmend spontaner. Es ist heute stärker von Situation und Anlass geprägt.
Die Dynamik der Veränderung ist vor allem in der jungen Generation außerordentlich hoch. Dadurch sind generationsspezifische Informations- und Kommunikationskulturen entstanden.
In diesem Zusammenhang ist wichtig zu klären: Inwieweit handelt es sich um Präferenzen und Verhaltensweisen der jungen Generation, die an das Alter gebunden sind und sich mit dem Älterwerden verlieren, und inwieweit um Veränderungen, die von der Jugend nur rascher und dynamischer aufgegriffen werden als von der übrigen Bevölkerung?
Wie informieren sich die Menschen heute über das aktuelle Geschehen?
»Heutzutage muss man sich nicht mehr täglich über das aktuelle Geschehen informieren. Durch das Internet kann man Informationen jederzeit bekommen, wenn man sie gerade braucht oder sie einen interessieren.« Das sagen 41 Prozent der Bevölkerung. Intensive Nutzer sozialer Netzwerke sind davon ganz besonders überzeugt. 2/3 dieser Gruppe stimmen der Aussage zu. Und 62 Prozent der 16 bis 29-Jährigen sehen das auch so.
Wo suchen die Menschen gezielt nach Informationen?
Was macht man normalerweise, wenn man sich über etwas näher und umfangreicher informieren möchte? Das wollten die Forscher wissen.
Zuerst wird das Internet genutzt. 72 Prozent der Bevölkerung suchen hier, sogar 92 Prozent der jungen Zielgruppe (14 bis 29-Jährige ). Nur noch 41 Prozent lesen Berichte in Zeitungen (39 Prozent in Zeitschriften). Bei den jüngeren sogar nur noch 20 Prozent – und 25 Prozent bei den Zeitschriften.
Wieso wird weniger gelesen?
Heute fehlt vor allem der mittleren Generation die Zeit zum Lesen. 42 Prozent der Altersgruppe 30 bis 44 Jahre würden gerne mehr lesen, haben aber im Moment nicht genug Zeit dafür.
Bei den 45 bis 59 Jährigen sind es immerhin noch 37 Prozent. Erstaunlich: 2005 hatten lediglich 14 Prozent angegeben, dass sie nicht genug Zeit zum Lesen haben.
Bildschirmlektüre – die Zukunft des Lesens?
Die Ausstattung mit Bildschirmsystemen für das digitale Lesen ist hoch. 94 Prozent der Bevölkerung nutzen ein textfähiges System, 83 Prozent ein System mit Internetverbindung.
Die Bandbreite der digital genutzten Texte ist groß. Große Teile der Lektüre finden an Bildschirmen statt, mit steigender Tendenz.
Die Mehrheit der Bevölkerung zieht bei längeren Texten die Printversion vor. Aber der Anteil derer, die sich mit dem Lesen am Bildschirm arrangieren, steigt. Bei dieser Entwicklung geht die junge Generation als Avantgarde voran; die mittleren Altersgruppen folgen rasch. Das Leseerlebnis am Bildschirm und auf Papier wird unterschiedlich beurteilt.
Welche Vorteile und Nachteile bieten digitale Texte?
Das sagen intensive Internetnutzer: Es geht schnell. Man bekommt schnell einen Überblick. Man liest vieles nur flüchtig, überfliegt es nur. Man überliest leicht etwas. Bei längeren Texten wird es anstrengend.
Welche Vorteile bieten Bücher, Zeitungen und Zeitschriften?
Da sind sich intensive Internetnutzer und die gesamte Bevölkerung einig: Zum Lesen braucht man Zeit. Man sucht sich gezielt aus, was man lesen möchte und was nicht.
Und man kann sich das Gelesene gut merken. Lesen von Büchern und Zeitschriften macht Spaß und ist entspannend. Man kann dabei alles um sich herum vergessen. Das sind die Vorteile von Print.
Lass uns umblättern und endlich lesen.
Text: Zusammengestellt von Martin Rzeppa
Texte in kursiv: aus dem AWA 2019 Gutachten 4311/11.7.2019
Schaubilder: AWA 2019 Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 3453
Das komplette Gutachten gibt es bei IfD Allensbach im Internet.