Wir können im Kleinen ein Verhalten anregen, das dann im Großen die Solidarität fördert.
Gefunden habe ich diesen Artikel im Bildungsmagazin der IG Metall.
Sicherlich ist die Überschrift provokant, denn heute ist Seife nicht mehr nur Seife, sondern ein Produkt, dass sich in dem Umfeld von Tierversuchen, dem Umweltschutz, Fair Trade und sozialen Aspekten erklären muss. Ich fand den Artikel lesenswert und deshalb erscheint er auch in unserem Blog. Los geht’s:
Das seit 60 Jahren maßgebliche Konzept und unser Prinzip in der Kommunikation und im Handeln ist Social Campaigning. Aber wie können wir als Gewerkschaft unser Social Campaigning verbessern?
Und warum tut es gut, nicht jeden Marketing-Trend mitzumachen, sondern sich lieber neu auf das zu besinnen, was wir am besten können? Nämlich nachzudenken und zu aktivieren?
Ein Aufruf zum Neu-Aufbruch.
Solidaritätszuschlag. Was für ein Wortungetüm. Zum Glück bürgerte sich schnell der Kosename »Soli« ein für das Konzept der verordneten Solidarität, das pünktlich zum 30. Geburtstag abgeschafft werden soll und jetzt durch gesundheitspolitische Entwicklungen plötzlich wieder auf dem Tisch liegt. Der Soli ist eine gemeinsam auferlegte Solidarität, die es von der politischen Analyse über den Referentenentwurf bis zur Verordnung schaffte. Für den Golfkrieg übrigens. Später drehte sich der Wind, das Geld war jetzt vordergründig zur Finanzierung der Wiedervereinigung gedacht, die Befristung wurde aufgehoben, das Geld meistens für anderes ausgegeben, kurzum:
Die Solidarität beim Soli geriet in den Hintergrund, das gemeinsame Ziel verwässerte.
An gemeinsamen, wertvollen Zielen, wofür wir unsere Solidarität nutzen wollen, mangelt es uns in der Gewerkschaftsarbeit nicht. Gleiches Geld für gleiche Arbeit, Schluss mit Leiharbeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Da wir Solidarität – anders als beim Soli – weder verordnen können noch wollen, müssen wir als Gewerkschafter*innen permanent Unterstützer finden und Strategien entwickeln, um unsere Ziele zu erreichen.
Solidarität ist der Nährboden für jede Form von Kampagnenarbeit, den wir mit der Kampagnenarbeit wiederum selbst fruchtbarer machen.
- Aber wie beackern wir diesen Nährboden auf unseren Feldzügen?
- Wie gestalten wir gesellschaftliche Entwicklungen mit?
- Wie können wir durch unser tägliches Wirken in den Betrieben Verhaltens- und Einstellungsänderungen begünstigen?
- Wie können wir die Solidarität durch Solidarität fördern?
Soziales ist nicht verkäuflich
Bedauerlicherweise (und glücklicherweise) verkaufen sich soziale Belange nicht wie Seife, auch wenn uns das die Marketing-Vertreter gerne glauben machen wollen. »Why can’t you sell brotherhood and rational thinking like you sell soap?«, fragte der Psychologe Wiebe in seiner ersten Untersuchung zu Erfolgsfaktoren von sozialen Kampagnen zu Anbeginn der 50er Jahre. Politische Kommunikation und Kampagnenarbeit solle Marketing-Techniken nutzen, um das Verhalten von bestimmten Zielgruppen zu ändern und um das gesellschaftliche Wohlergehen zu verbessern. Wiebe formulierte fünf zentrale Erfolgsfaktoren für soziale Kampagnen:
- Die Intensität, mit der ein Empfänger vor und nach dem Empfang der Kampagnenbotschaft die Ziele einer Kampagne teilt;
- das Wissen darum, wie und in welcher Form der Empfänger der kommunikativen Botschaften an der Kampagne teilhaben kann.
- die individuelle Einschätzung des Empfängers, mit welchem Aufwand die Kampagne unterstützt bzw. das Kampagnenziel erreicht werden kann;
- die Existenz einer Plattform oder Organisation über die Teilnehmer ihre Motivation in Aktionen umsetzen können.
Und zu guter letzt – 5. die Effizienz dieser Plattform beziehungsweise Organisation, mit der die Aktionen umgesetzt werden können.
Das ist damals interessant, für analog geführte Kampagnen ohne den Einsatz von Social Media auch heute noch hilfreich, aber insgesamt zweifelhaft. Denn die Integration von künstlicher Intelligenz in Form von Chatbots, die asymmetrische Informationen zielgruppenspezifisch ausspielen, hat nur noch wenig mit Wiebe zu tun. Marketing ist automatisiert, zahlengetrieben, gewissenlos und intransparent.
15 Prozent der Twitter-Nutzer sind Bots: also keine Menschen.
Wir brauchen heute eine grenzenlose Medienkompetenz, um bewerten zu können, wie aus gesellschaftlichem Interesse und was aus Eigennutz kommuniziert wird. Die gesellschaftliche Arena ist eben nicht nur ein Konsumgütermarkt. Und soziale Belange kein Produkt.
Es geht in unserer Gewerkschaftsarbeit viel weniger um individuelle Bedürfnisse als um öffentliche Belange. Es geht nicht um das oberflächliche Verkaufen, sondern vielmehr um ein aktives Auseinandersetzen. Es geht um die Gesellschaft als ganzes. Aufklärung ist hier nicht eine Kundeninformation, sondern ein politischer Sinn.
Die Lösungen gesellschaftlicher Herausforderungen lassen sich nicht durch die Verhaltensänderungen Einzelner erreichen, sondern hierfür sind Änderungsprozesse in sozialen Gruppen und ganzen Systemen notwendig. Aber wie geht das?
- Social Campaigning braucht Analyse
- Ist das eine Strategie?
- Ein Ziel?
- Eine Maßnahme?
Dieses Beispiel unterstreicht, dass Social Campaigning eine echte Querschnittsaufgabe ist. Alle Ebenen sind miteinander verschränkt, es kommen die unterschiedlichsten Disziplinen zusammen, alles gedeiht miteinander. Die SWOT-Analyse ist diejenige Methode, die diesen Wildwuchs strukturiert.
Der Pfad dorthin ist das Social Campaigning »von damals«. Und wie so oft beginnt alles mit der genauen Analyse der Ausgangssituation. Die Analyse des Grund und Bodens, auf dem Verhaltensänderungen gedeihen sollen, des Zeitpunkts und des gesellschaftlichen Klimas, ist das Fundament für jede Strategie. Die über 50 Jahre alte SWOT Analyse ist dafür auch im Jahre 2020 ein unschlagbares, leider oft falsch verstandenes Werkzeug.
Entgegen so mancher aus dem Ärmel geschüttelter Stärken-Schwächen-Liste ist sie der strukturierte Prozess, an dessen Ende nicht nur allgemeine strategische Optionen, sondern bereits eine rational getroffene Entscheidung in Form einer handvoll ausformulierter »Strategischer Optionen« steht.
Das Schlimme ist: Alles hängt irgendwie mit allem zusammen. Ein Beispiel: »Gemeinsam mit unseren Mitgliedern gestalten wir die politische Entwicklung mit, um gerechte Arbeits- und Lebensverhältnisse zu erreichen.«
Social Campaigning will das kollektive Verhalten ändern. Eine strukturierte Vorgehensweise ist notwendig, denn Social Campaigning will viel!
Uns geht es um nichts weniger als großmaßstäbliche Verhaltensänderungen herbeizuführen, wobei Verhaltensänderungen schon auf individueller Ebene schwer sind. Verschränke doch einfach mal die Arme auf die »andere Art und Weise« vor dem Körper.
Wie fühlt sich das an? Zumindest ungewohnt. Wir Menschen neigen dazu, die Dinge immer auf die gleiche Art und Weise zu tun. Den gleichen Weg zur Arbeit, ähnliche Mahlzeiten in der Kantine, die gleichen Urlaubsorte, einstudierte Abendroutinen. Das spart dem Gehirn Nachdenkzeit und Energie, die stammesgeschichtlich zum Ausruhen und Wachsam sein, die Jagd und die Flucht benötigt wird. Auf gesellschaftlicher Ebene sind Verhaltensänderungen eine Mammutaufgabe.
Rein formal haben wir fünf verschiedene Ansatzpunkte, wie wir Verhaltensänderungen erwirken:
- Belobigen
- Belohnen
- Bestechen
- Bedrohen und
- Bestrafen
Social Campaigning will das kollektive Verhalten ändern
Es hat sich herauskristallisiert, dass ein positiver Umgang mit unseren Mitmenschen in vielen Situationen viel effektiver ist als das ständige Warnen und Drohen durch die Inaussichtstellung von Strafen und Katastrophen, auch wenn diese Vorgehensweise immer noch auf allen Ebenen der politische Normalfall ist.
In der Verhaltensökonomie geht man davon aus, dass oft nur ein kleiner »Schubser« reicht, um Menschen zu etwas politisch und gesellschaftlich Gewollten, zu einer klugen Entscheidung zu führen.
Social Campaigning fokussiert sich auf die naheliegendsten Zielgruppen
Als verantwortungsvolle Kommunikatoren in der Gewerkschaftsarbeit können wir diesen Grundgedanken noch um eine kluge Überlegung erweitern. Es sind eben jene Gruppen von Personen interessant, die nur noch eine handbreit entfernt sind von einer Verhaltensänderung. Denen nur das letzte zentrale Argument oder Gefühl, die kleine emotionale oder wissensbasierte Botschaft, das richtige Wort im richtigen Moment am richtigen Ort fehlt.
Viel zu oft wollen wir alle und alles gleichzeitig erreichen, weil es ja irgendwie alle angeht.
Das merkt man in der Sprache, die selbst auch Konzeption ist: Wir »fokussieren« mehrere Themen oder »konzentrieren« uns auf mehrere Zielgruppen. Es geht paradoxerweise im Social Campaigning darum, kleine Brötchen zu backen. Das ist das Gegenteil des Giesskannenprinzips. Und das ist doch auch der Grund, warum wir so viel Kraft dezentral, nah und direkt vor Ort in die Betriebe stecken, was uns gleichzeitig eine äußerst kampagnenfähige effektive Organisationsstruktur beschert.
Social Campaigning vollzieht sich in kleinen Schritte der Verhaltensänderung, bei kleinen wohlüberlegten Zielgruppen angefangen, die nur kleine Hüpfer machen müssen auf dem Weg, andere anzustecken, mitzuziehen und so in einer Art Dominoeffekt eine insgesamt gesellschaftlich große Änderung herbeizuführen.
Social Campaigning ist ein Leitmotiv unserer Bildungsarbeit
Mit den Worten von Wiebe, dem Social-Campaigning-Theoretiker der ersten Stunde, gesprochen: Wir erfüllen als IG Metall alle Voraussetzungen für erfolgreiche Kampagnen. Unsere Organisationsstruktur ist die perfekte Plattform für Veränderungen.
Unsere Mitglieder und auch die nicht-organisierten Kolleg*innen teilen die gleichen Ziele. Und der Aufwand für jeden einzelnen von uns ist vor dem Hintergrund des Ziels einer insgesamt gerechteren Arbeitswelt noch überschaubar.
Aber Achtung! Wir wollen niemanden manipulieren. Wir tragen in unseren Positionen wie eingangs bereits thematisiert eine hohe Verantwortung, da wir als Referent*innen einen Zugang zu überdurchschnittlich vielen Menschen haben, denen wir Fähigkeiten und Techniken vermitteln. Diese komplexe Aufgabe ist nur möglich, da wir in einem absoluten Vertrauensverhältnis miteinander stehen. Unsere Glaubwürdigkeit und Werte sind das Fundament auf dem unsere Vorstellungen ruhen.
Sie sind nicht einer Kampagne im Nachhinein überzustülpen, sondern sind in unseren Argumenten und Botschaften innewohnende Werte, die nur noch in der Wahl einer Botschaft ihre zielgruppenspezifische Formulierung finden. Das zitierte Schubsen ist dabei ebenso wenig wörtlich zu nehmen wie der Solidaritätszuschlag.
„INSIDE #5 | Das Bildungsmagazin der IG Metall
Zusammengestellt von Michael Rasch
Foto: pixabay.com