Die Autoren Sebastian Pertsch und Udo Stiehl vom Projekt »Floskelwolke« sprechen im FR-Interview über Wortmacht und Medienkompetenz.

Herr Pertsch, Herr Stiehl, in der Diskussion über politische Sprache taucht derzeit häufig der Begriff »Framing« auf. Was ist das?
Stiehl: Das Phänomen des »Framings« ist überhaupt nichts Neues. Das ist erst mal nur die Beschreibung, wie das Gehirn Informationen verarbeitet, nämlich in erster Linie über Bilder. Bekannt geworden ist der Begriff dadurch, weil die Kognitionsforscherin Elisabeth Wehling darüber ein Buch geschrieben und mit Hilfe von Experimenten nachgewiesen hat, wie einfach das funktioniert. Wird ein bestimmter Begriff erwähnt, entsteht dazu ein Bild im Kopf. Das ist allerdings nicht bei allen dasselbe Bild. »Framing« bedeutet nur, dass innerhalb eines Frames, eines Rahmens, bei jedem gewisse Dinge abgespeichert sind. Auch bei einem Begriff, den Sie vielleicht gar nicht in Ordnung finden, kommt dieses Bild in den Kopf und verstärkt sich, sobald der Begriff ausgesprochen wird. 

Haben Sie ein Beispiel dafür?
Stiehl: Ja, die »Steuerlast«. Wenn Sie von einer »Steuerlast« sprechen, dann transportieren Sie das Bild, dass das Zahlen von Steuern eine Belastung und etwas Negatives ist. Da aber Steuern die Grundversorgung sind, um einen funktionierenden Staat am Laufen zu halten, ist das ein schiefes und ein zu negatives Bild. Stattdessen müssten wir zum Beispiel von Solidarität sprechen. Immer wenn Ihnen das Wort »Steuer« begegnet, kommt Ihnen aber automatisch die Last in den Kopf. Dieser Effekt zeigt sich auch, wenn Sie eigentlich etwas Positives sagen wollen.

Inwiefern?
Stiehl: Wenn Sie mit jemandem diskutieren und die Begrifflichkeiten Ihres Diskussionspartners verwenden, dann verstärken Sie dessen Argumente automatisch, weil Sie dessen Wortschatz übernehmen. Nehmen Sie Markus Söder, der oft von »Asyltourismus« gesprochen hat. Wenn Sie öffentlich sagen »Ich finde es überhaupt nicht in Ordnung, dass Markus Söder von ‚Asyltourismus‘ spricht«, dann haben Sie das zwar deutlichst verneint. Aber dadurch, dass Sie den Begriff verwendet haben, haben Sie das Bild wieder aufgerufen und das damit verstärkt. 

Wird »Framing« bewusst oder unbewusst eingesetzt?
Pertsch: Das kommt darauf an. Politiker machen das schon häufig bewusst. Herr Söder beispielsweise ist ja nicht erst seit ein paar Tagen Politiker, er ist Rhetorikprofi. Politiker wissen schon sehr gut Bescheid, wie das, was sie sagen, wirkt. Bei den Parteien gibt es sogar Listen mit bestimmten Wörtern, die zum Beispiel gepusht werden sollen. Wir müssen davon ausgehen, dass der »Framing-Effekt« in der Politik gezielt eingesetzt wird.

Wie ist es bei den Medien?
Pertsch: Wenn wir in den Medien ein »Framing« setzen, dann kann es gefährlich werden. Wir müssen uns wirklich von dem distanzieren, was aus der Politik kommt. Denn man kann halt leider nicht nicht denken. Das ist ein Dilemma, für das es keine perfekte Lösung gibt. Aber man muss sich dessen zumindest bewusst sein. 
Stiehl: Ein aktuelles Beispiel ist Franziska Giffey, die die Parole ausgegeben hat, dass sie nach außen positiv kommunizieren möchte. Deswegen sind das »Gute-Kita-Gesetz« und das »Starke-Familien-Gesetz« im Umlauf. Sie verheimlicht nicht, was sie vorhat, nämlich die Gesetze in einem guten Licht erscheinen zu lassen. Gerade deshalb ist es erstaunlich zu sehen, wie diese Begriffe in den Medien sehr leichtfertig weiterverbreitet werden. Sie wurden in fast allen Texten mitgenommen, auch in Überschriften. Dazu muss man ihr schon gratulieren, denn der Plan ist aufgegangen.

Gibt es unterschiedliche Arten von »Framing«, je nachdem, ob und was man bezwecken will?
Stiehl: Grundsätzlich kann man schon sagen, dass »Framing« in alle Richtungen verwendet werden kann. Sie können damit gute Absichten verfolgen, Sie können damit böse Absichten verfolgen oder Sie machen es unbewusst.

Das Phänomen tritt aber ja nicht nur bei Politikern und Medien auf. Viele Menschen scheinen sich ihrer Sprache oft nicht bewusst zu sein und übernehmen ungeprüft Begriffe. Warum? 
Pertsch: Das liegt an den Medien, denn die geben Dinge eben oft weiter, ohne sie zu hinterfragen. Die Medien sind allerdings nicht mehr in derselben Situation wie vor 20 Jahren, als sie die einzigen Gatekeeper waren. Heute wird viel an den Medien vorbei kommuniziert, auf direktem Wege über soziale Medien oder Podcasts, die die Politiker betreiben und dadurch direkt an den Wähler herantreten. Und das wird auch reichlich genutzt. Da können die Medien eigentlich gar nichts machen – außer Korrektiv zu sein.

Kann man sich denn gar nicht gegen den »Framing-Effekt« wehren?
Pertsch: Nein, man kann sich dem nicht widersetzen. Jeder ist gefordert. Man kann die Schuld natürlich immer den Medien oder den Politikern zuschieben. Aber man ist auch selbst gefragt. Die deutsche Sprache ist unglaublich komplex. »Framing« kann da auch sehr versteckt funktionieren. Jeder sollte sich selbst hinterfragen, aber auch das, was er liest – anstatt alles immer sofort anzunehmen. Diese Naivität, die wir erleben, gerade auch in unserer sehr flüchtigen Gesellschaft, trägt vielleicht auch dazu bei, dass sich bestimmte manipulative oder propagandistische Begriffe verbreiten. 
Stiehl: Es ist die Medienkompetenz, die vielerorts fehlt.

Das heißt, man kann nur sich selbst und die Dinge, die man aufnimmt, immer wieder hinterfragen?
Pertsch: Genau. Sprache ist Macht, das ist nicht erst seit gestern so. Wir haben aber die Chance, dass wir uns in unserer sehr aufgeklärten Gesellschaft, in der wir sehr viele Informationen zur Verfügung haben, besser informieren können. Zumindest ist die Hoffnung da, dass man das wahrnimmt. 

Interview: Ruth Herberg
Erschienen 15. Januar 2019, Frankfurter Rundschau